Frau Drewke, viele werden das Konzept nicht kennen: Was macht eine Jenaplan-Schule aus?
Der Pädagoge Peter Petersen entwickelte 1927 in Jena an der Universität innerhalb eines Schulversuchs
den ›Jenaplan‹, in welchem die Grundprinzipien des Lernens, also Gespräch, Arbeit, Spiel und Feier, verankert sind. Es geht dabei — ganz vereinfacht gesagt — neben vielen an den Menschenrechten ausgerichteten Prinzipien um das selbsttätige Arbeiten und die Mitverantwortung
der Schüler- und Elternschaft. Außerdem lernen bei uns immer drei Jahrgänge zusammen in einer sogenannten Stammgruppe. Die Schülerinnen und Schüler machen dadurch immer wieder die Erfahrung, entweder die Jüngsten, die Mittleren oder eben die Ältesten in der Gemeinschaft zu sein. Das fördert die Sozialkompetenz der Kinder.
Wie groß ist Ihre Schule?
Als ich 2009 als Lehrerin hier in Weimar anfing, waren wir noch eine Jenaplan-Grundschule mit vier Jahrgängen. Aus einer Elterninitiative heraus entstand damals der Plan, die Klassen bis zum Abitur zu führen, was ich auch aus pädagogischer Sicht sehr sinnvoll fand. Zeitgleich, etwa ab 2010, startete eine Gemeinschaftsschul-Initiative in Thüringen. Die Schulen, die daran teilnehmen wollten, mussten bestimmte Kriterien erfüllen, die zu uns perfekt gepasst haben. Wir haben uns beworben — und wurden neben anderen zum Pilotprojekt Gemeinschaftsschule. Seitdem waren wir eine ›Schule im Aufbau‹, das heißt, die bestehende Grundschule ist beständig gewachsen. Insgesamt sind also acht Jahrgänge dazugekommen und seit dem Schuljahr 2018/2019 unterrichten wir insgesamt rund 770 Schüler bis zur 12. Klasse — und sind damit vollständig.
Was bedeutete dieses enorme Wachstum für Ihre räumliche Situation?
Wir haben uns zuerst mit anderen Schulen zusammengeschlossen und leer stehende Gebäude geteilt.
Nach und nach sind die anderen Schulen wieder ausgezogen. Heute unterrichten wir deswegen in zwei Gebäuden: In der Gropiusstraße in einem denkmalgeschützten sanierten Schulgebäude und am Hartwege in einem alten Plattenbau.
Passten diese Räume denn zu Ihrem pädagogischen Konzept?
Nein. Wir brauchen Platz für Werkstätten und Labore für Projekte, außerdem größere Räume für unsere altersgemischten Gruppen. Unser Vorteil in der Übergangszeit war, dass wir immer auf das Engagement der Schulgemeinschaft zählen konnten. Die Kinder, Lehrkräfte und Eltern haben damals angefangen, mit der Raumsituation umzugehen. Sie haben den Innenbereich selbst gestaltet, Wände gestrichen, Einrichtungsgegenstände gebaut, Ecken zum Lernen oder zum Verweilen eingerichtet. Das war sehr gut, reichte aber nicht langfristig aus. Uns war klar, dass wir uns ausweiten mussten. Mit dem neuen Standort in Oberweimar haben wir nun den richtigen Platz dafür.
Ihre Schule ist seit dem Jahr 2015 IBA Kandidat. Wie profitieren Sie davon?
Wir brauchten dringend jemanden, der von außen auf unsere Ideen und Bedürfnisse blickt. Die zentrale
Frage ist für uns ja, wie unsere Gebäude künftig aussehen müssen, damit wir nicht nur Platz für mehr Schüler haben, sondern auch unser Konzept richtig umsetzen können. Die IBA war dafür der perfekte Partner. Sie hilft uns bei der finanziellen und logistischen Planung, macht uns Angebote wie Besuche bei anderen Schulen, um Inspirationen zu gewinnen, organisiert Moderatoren für Workshops und hilft uns mit vielen Kontakten. Wir alle — und auch ich als Schulleiterin — haben viel gelernt zu Themen wie professioneller Moderation, Netzwerkarbeit und zielgerichtetem Arbeiten.
Wie setzen Sie Ihr IBA Vorhaben nun konkret um?
Wir werden am neuen Standort Lernhäuser für die Gruppen der Jahrgänge 1 bis 12 sowie ein Gemeinschaftshaus für alle bauen. Letzteres gibt es so noch an keiner anderen Schule, wir sind damit
Vorreiter. Dort wird alles stattfinden, wofür Menschen zusammenkommen wollen und müssen: Kunst, Musik, Essen, Versammlungen, Verwaltung.
Gibt es weitere Besonderheiten an Ihrer Schule?
Für die Gruppenräume werden gerade 400 Quadratmeter große Lerncluster geplant, in welchen jeweils drei Gruppen zusammen lernen werden und bei denen durch den architektonischen Aufbau Verkehrsflächen soweit wie möglich vermieden werden sollen, um Platz zum Lernen zu schaffen. So können wir zum Beispiel auf raumgreifende Treppenhäuser und die breiten Flure klassischer Schulen verzichten. Außerdem haben wir im Innenbereich der Lerncluster eine tolle Lösung
gefunden: Nur drei Räume sind mit festen Wänden geplant, der Rest bleibt flexibel nutzbar und kann je nach Bedarf unterteilt werden.
Baubeginn wird ja erst in einigen Jahren sein. Welche konkreten Erfolge des Projektes zeigen sich schon jetzt?
Das sind kleine Sachen, die den Schulalltag verändern. Architektur-und Urbanistik-Studierende der Bauhaus-Universität Weimar haben auf dem Schulhof zum Beispiel einen Pavillon gebaut, den wir für Versammlungen und Veranstaltungen nutzen. Die Schülerinnen und Schüler feiern hier am Wochenende manchmal Partys. Dieses ›Projekt im Projekt‹ hat auch die IBA mit angestoßen.
Welche Projektpartner haben Sie neben der IBA?
Die Stadt Weimar ist Träger der Schule und damit einer unserer wichtigsten Partner. Das Ungewöhnliche ist, dass auch hier der gesamte Prozess auf Beteiligung ausgelegt ist, die Stadt uns also
eng in die Konzeption einbindet. Der zweite wichtige Partner ist die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft — die Kooperation kam übrigens auch durch die IBA zustande. Wir haben an der Ausschreibung ›Inklusive Schulen Planen und Bauen‹ der Stiftung teilgenommen und passten gut ins Fördermuster. Aus dem Projekt entstand das Raumprogramm der Schule. Aktuell arbeiten wir mit der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft und in Kooperation mit Stadt und IBA an einem Planungsbaukasten mit, welcher helfen soll, die inzwischen veralteten Schulbaurichtlinien zu überarbeiten. Das Knowhow wird den Ländern, Kommunen und Planern als Open Source frei zur Verfügung gestellt.
Sie sprechen immer wieder die Partizipation an. Warum spielt die bei Ihnen eine so große Rolle?
Wir legen sehr viel Wert darauf, dass alle Verantwortung übernehmen, die am Prozess beteiligt sind. Dabei sind uns demokratische Strukturen wichtig, diese Anforderung nehmen wir sehr ernst. Das heißt auch, dass wir manchmal etwas zu lange über Dinge diskutieren, um zu einer Entscheidung zu kommen. Wir beziehen immer auch die Menschen aus dem Netzwerk und dem Umfeld der Kinder mit ein. Gleichzeitig sollen sich ja auch vor allem die Kinder — und natürlich die Lehrkräfte — in der Schule wohlfühlen. Deshalb ist es wichtig, dass sie alle bei dem gesamten Prozess mitdiskutieren und mitbestimmen dürfen.
Hintergrund
Über viele Jahrzehnte wurde zu wenig in Deutschlands Schulen investiert, deswegen stehen heute viele Kommunen vor großen Herausforderungen. Hinzu kommt: Die bestehenden Schulbaurichtlinien werden aktuellen Pädagogikstandards, Bildungsangeboten und Inklusionsfragen nicht mehr gerecht.
Hier setzt das IBA Vorhaben ›StadtLand Schule‹ am Stadtrand von Weimar an. In einem umfangreichen Beteiligungsverfahren wurden die Stadt, Lehrende, Eltern und die Schülerschaft der Jenaplanschule zu ihren Bedürfnissen und Erwartungen befragt und notwendige bauliche Entwicklungen diskutiert. Ein Team aus Fachleuten übersetzt die Ergebnisse nun in ein konkretes Bauvorhaben. Das Wissen rund um Nutzungsbedarfe und räumliche Konzepte soll auch anderen zugänglich gemacht werden. Der Weimarer
Prozess wird in Form eines Planungsbaukastens dokumentiert und künftigen Schulbauprojekten als Open-Source-Wissen zur Verfügung gestellt. So können Kommunen und Planende, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, unter Umständen Kosten sparen und zugleich auf nützliche Erfahrungen zurückgreifen. Das Vorhaben wird in enger Kooperation und mit Unterstützung der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft verwirklicht, die auf dem Gebiet moderner Pädagogik und Schulbau über langjährige Erfahrungen verfügt.
»Mit der Qualität der Schulen entscheiden sich die Chancen künftiger Generationen. Beim Umbau der StadtLand Schule in Weimar wurde ein beispielhafter partizipativer
Weg beschritten, auf dem Schule, Kommune und Planer gemeinsam Anforderungen und Lösungen für ein zukunftsweisendes Bildungszentrum entwickeln. Das als Open-Source-
Planungsbaukasten gebündelte Wissen trägt dem Ziel einer IBA, replizierbare Modelle zu relevanten Zukunftsfragen zu schaffen, in besonderer Weise Rechnung.«
Dr. Julian Petrin, IBA Fachbeirat
Das Interview erschien im IBA Magazin #5 anlässlich der Ausstellung StadtLand im Eiermannbau Apolda, die noch bis zum 29. September in Weimar zu sehen ist.
ACHTUNG: Am 7. September 2019 ab 14 Uhr führt Tobias Haag, Projektleiter der Internationale Bauausstellung IBA Thüringen, durch die Ausstellung STADTLAND im Eiermannbau. Weitere Infos: https://iba-stadtland.de/
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