10. September 2019; Von: Barbara Pampe

Wissen baut auf Vielfalt – Die Lernraumprojekte der IBA Heidelberg

Der Bildungsbau als die räumliche Umsetzung der formalen Bildung erlebt gerade einen deutlichen Aufwind. Der immense Bedarf an zusätzlichem Schulraum in den Metropolregionen sorgt dafür, dass Schulen verstärkt neu geplant und gebaut werden.

Die Aufgaben im Bildungsbau sind vielfältig. Der über Jahre angestiegene Sanierungsbedarf von Schulgebäuden gehört ebenso dazu wie neue pädagogische und gesellschaftliche Themen: Inklusion, Ganztag, Digitalisierung, Profilbildung von Schulen, Quartiersöffnung sowie ein Paradigmenwechsel in der Pädagogik. Vorgaben und Raumprogramme, die als Grundlage für die Planung von Schulen existieren, gilt es zu hinterfragen, zu überarbeiten und in ihrer Struktur neu zu denken. Ebenso wie die Vorgaben bzw. Empfehlungen für die (Um-)Planung von Schulgebäuden müssen auch die Prozesse neu aufgesetzt werden: Die Schulgemeinschaft ist zu beteiligen, verschiedene Ämter (Stadtplanung, Denkmalschutz, Bauaufsicht, Jugendamt etc.) aus den kommunalen Verwaltungen sind projektspezifisch miteinzubeziehen, genauso wie die Bildungseinrichtungen im Stadtteil und die Politik.

„Die IBA hat die Aufgabe, hier richtungsweisende Projekte einer zukünftigen Praxis auf den Weg zu bringen, die über klassische Bildungskonzepte hinausgehen“ [1], einem der fünf Leitthemen der IBA Heidelberg. Ziel der IBA Heidelberg ist es, Orte zu finden und zu qualifizieren, die die Verknüpfung von Stadt und Wissen [2] zukunftsweisend und beispielhaft räumlich abbilden.

Lebenslanges Lernen in der Stadt

Auch die Orte der nonformalen und informellen Bildung zu identifizieren und qualifizieren. Laut Definition der EU [3] bedeutet informelles Lernen das Lernen im Alltag. Es ist in Bezug auf Lernzeile, Lernzeit und Lernförderung unstrukturiert und meist nichtintentional – kann aber siebzig bis achtzig Prozent des menschlichen Wissenserwerbes ausmachen [4]. Non-formales Lernen findet nicht in Bildungseinrichtungen statt, es ist nicht zielgerichtet und systematisch bezogen auf Lernziel, Lerndauer und Lernmittel. Hinzu kommt, dass Wissen durch die Digitalisierung zum Allgemeingut wird und von überall für jeden abrufbar wird. Der globale Informationsstand ist deshalb so hoch wie nie. Der Schwerpunkt der Bildung liegt auf lebenslangem Lernen, dem Umgang mit Wissen sowie der Vermittlung von sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Damit erweitert sich auch der Lernraum: Bildung ist nicht nur verortet in den klassischen Bildungshäusern wie (Hoch-) Schulen, sondern auch im öffentlichen Raum (innen und außen) und in neu definierten Gebäuden mit vielfältigen Funktionen.
Die Vielfalt der IBA-Projekte und IBA-Kandidaten spiegelt diese unterschiedlichen Orte des Lernens wider: von Begegnungs- und Austauschorten im öffentlichen Raum über einen Bildungskomplex mit verschiedenen Bildungseinrichtungen, eine Werkstattschule, eine traditionsreiche Jugendeinrichtung, eine neue Typologie von Interkulturellem Zentrum bis hin zu einem digital entworfenen Veranstaltungspavillon. Die Kandidaten sind ausgewählt und einige schon zu IBA-Projekten deklariert. Für die Phase nach der Zwischenpräsentation gilt es, in der Zeit bis 2022 vor allem die bauliche Umsetzung zu begleiten und zu unterstützen, Chancen für Innovation, für das „Anders-und-besser-Machen“ zu nutzen, die Qualität in den Vordergrund zu schieben und bis zur Umsetzung einzufordern. Es sollen Vorbildprojekte entstehen, die für das Quartier bzw. die Stadt Heidelberg identitätsstiftend werden.

Kulturelle und soziale Vielfalt

In Heidelberg soll eine islamische Akademie entstehen, die muslimisches Leben in Heidelberg sichtbar macht. Dafür macht sich der Verein Teilseiend stark. Unterschiedliche Ebenen, Glaube, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sollen sich hier begegnen und austauschen. Es soll ein Wissens- und Erfahrungstransfer gelingen, der Religiöses mit Säkularem verschränkt. Mit unterschiedlichen Kommunikationsformaten (Stadtspaziergänge, Ferienangebote für Jugendliche und Kinder, jüdisch-muslimische Kulturtage, Diskussionsrunden etc.) bringt die Initiative seit 2014 unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ins Gespräch. Ziel ist es, als IBA-Projekt einen alltäglichen Lernort über die Religionen und Gesellschaftsschichten hinweg baulich zu verorten und zu gestalten. Dabei gilt es, in der Zeit bis zum Ende der IBA die Professionalisierung der Institution fortzusetzen, einen Standort in der Stadt zu finden, ein Raumprogramm zu entwickeln, ein architektonisches Bild für eine Islamische Akademie, einen Ort der Begegnung und des Austausches zu generieren.
Einen ähnlichen Ansatz hat das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Allerdings ist es eine etablierte Institution, die sich baulich und auch inhaltlich erweitern und erneuern will. Eine kulturelle, wissenschaftliche und pädagogische Einrichtung, die sich der Altstadt und den Besuchern Heidelbergs gegenüber öffnen und neben dem Holocaust einen Blick auf den Beitrag der größten Minderheit Deutschlands wirft. Ziel ist es, das Programm zu erweitern und zu spezifizieren, die internationale Sichtbarkeit auszubauen und dem Dokumentationszentrum über einen Wettbewerb ein Haus zu geben, das die Arbeit des Zentrums selbstbewusst in der Altstadt in Erscheinung treten lässt.

Jugend braucht Zuwendung

Auch die Werkstattschule will den Bezug zum umgebenden Stadtraum entwickeln. Es ist eine besondere Art von Schule, die außerschulische praktische handwerkliche Projekte für Jugendliche anbietet. Dieser Verein hat sein Zuhause in einem alten Bahnbetriebswerk, das an der Schnittstelle zu drei Stadtteilen liegt. Das denkmalgeschützte Gebäude wird bis Sommer 2019 saniert und erweitert und stellt dann adäquate Räumlichkeiten und Werkstätten für ein anderes und handwerksbezogenes Lernen zur Verfügung. Das geplante Café wird das verbindende Element zu den Stadtteilen herstellen und die Schule nach außen sichtbar machen. Ziel ist es, im weiteren Prozess die Außenraumgestaltung, zu der es schon erste Workshops gab, neben der logistischen Funktion als gleichwertige pädagogische Fläche miteinzubeziehen.
Ein weiteres IBA-Lernraumprojekt im Bereich der non-formalen Bildung ist das Haus der Jugend, die größte und älteste Jugendeinrichtung in Heidelberg ist. Sie bietet seit den 1960er Jahren ein vielfältiges Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche an. Das Haus hat sich mit den Bedarfen und Moden mitverändert und bedarf nun einer baulichen Erneuerung. Über einen offenen Architekturwettbewerb mit einem aufwendigen Jugendbeteiligungsverfahren konnte ein Architekt gefunden werden, der ein neues Bild für das Haus entwickelt hat. Die Erfahrung der jahrelangen Nutzung und die Jugendbeteiligung im Vorfeld und während des Wettbewerbs haben gezeigt, dass diese Einrichtung vor allem einen großen Möglichkeitsraum zur Gestaltung durch die Jugendlichen bieten muss. Das zukünftige Gebäude wird dem Wunsch der Jugendlichen Rechnung tragen und eine Vielzahl von unterschiedlichen Räumen mit unterschiedlichen Atmosphären und Nutzungsmöglichkeiten bieten, die auch in der Fassade ablesbar werden. Die Herausforderung besteht darin, gleichzeitig eine große Umgestaltungsmöglichkeit für zukünftige Entwicklungen und veränderte Vorstellungen zu bieten, langfristig sowie aber auch kurzfristig. Das neue Haus der Jugend wird sich zu allen Seiten zu dem umgebenden Schulareal öffnen. Es wird Teil eines Bildungscampuses werden, der im Weiteren programmatisch und innen- und außenräumlich entwickelt werden soll [5].

Einen besonderen Lernraum innerhalb der formalen Bildung entsteht an der Elisabeth-von-Thadden-Schule. Das evangelische Gymnasium hat im Zuge der Umstellung auf G8 vor einigen Jahren ein neues pädagogisches Konzept für die Mittelstufe entwickelt, das als IBA-Projekt auch räumlich seine Entsprechung im Zuge des Neubaus der Sporthalle erhalten soll. Durch die Schwerpunktsetzung auf eigenverantwortliches Lernen, Lehrerteamarbeit, Projektarbeit und Schüler-Coaching werden veränderte Anforderungen an die Lernräume gestellt. Transparenz, Nutzungsüberlagerung und Nutzungsvielfalt sind die räumlichen Kriterien, die nun bei der Planung des Erweiterungsgebäudes eine Rolle spielen. Um das richtige Architekturbüro zu finden, das das pädagogische Konzept idealerweise in Räume übersetzt, führte die Schule ein dialogisches internationales Workshopverfahren durch. Es konnte ein Büro gefunden werden, das nicht nur einen besten Entwurf entwickelt hat, sondern auch die pädagogischen Belange der Schule versteht und die Offenheit besitzt, im Dialog mit der Schulgemeinschaft den Entwurf weiterzuentwickeln. Die Entwurfsplanung wird im Sommer 2019 abgeschlossen, im Sommer 2021 sollen die neuen Räumlichkeiten bezogen werden. Bis dahin gilt es, mit Unterstützung der IBA die Idee der geplanten Öffnung der Schule zum Stadtteil weiterzuverfolgen und zu konkretisieren.

Öffnung der Institutionen

Eine bauliche Verbindung zwischen formaler und non-formaler Bildung bietet das Projekt B³ Gadamerplatz. Es vereint eine inklusive Kindertagesstätte, eine inklusive ganztägige Grundschule, eine Sporthalle und ein Bürgerhaus baulich in einem Komplex. Das Bürgerhaus bietet neben einem großen Veranstaltungssaal für Konzerte, Theater, Vorträge etc. auch Mehrzweckräume, die von Bürgern aus dem Stadtteil und auch Externen gemietet werden können, aber auch der Kita und der Schule zur Verfügung stehen. Die vier Einrichtungen sind zwar in eigenen Räumlichkeiten untergebracht, die jedoch eine Verbindung und damit gegenseitige Nutzung der insgesamt zur Verfügung gestellten Flächen möglich machen. Hier geht es in der anstehenden Phase bis zur IBA-Endpräsentation darum, Neues in der Kooperation zwischen den Einrichtungen zu testen, diese weiterzuentwickeln und zu verfestigen, damit das Potenzial der baulichen Vereinigung auch inhaltlich langfristig genutzt wird. Durch die IBA besteht die Möglichkeit, die Zusammenarbeit zu beobachten und zu evaluieren sowie die Erfahrungen und das Projekt im Überregionalen bis hin zum internationalen Raum sichtbar zu machen.

Ein weiteres Projekt, das an der Schnittstelle zwischen informeller, nonformaler und formaler Bildung angesiedelt ist, ist das Forum Adenauerplatz des Deutsch-Amerikanischen Instituts: die Planung eines öffentlichen Forums für Veranstaltungen, Vorträge, Diskussionsrunden, für die es in Heidelberg einen großen Bedarf gibt. Der Standort, eine Verkehrsinsel, bildet für die zukünftigen Entwicklungen einen idealen Ort, der an der Schnittstelle von historischer Altstadt und der sich nach Süden hin neu orientierenden Stadt liegt.

Mithilfe von digitalen Entwurfsmethoden hat das „Institute for Computational Design and Construction“ von Achim Menges der Universität Stuttgart gemeinsam mit SSV Architekten einen Pavillon aus Restholzstäben heimischer Hölzer entworfen. Die Konstruktion ist Teil der Forschung des Instituts zum Thema Holzbau der Zukunft durch Nutzung von digitalen Planungs- und Herstellungstechnologien. Im Vordergrund steht nicht die Vollautomatisierung, sondern die Kombination aus den Stärken der Robotik und des Handwerks. Der Pavillon ist Ergebnis von computerbasierten Entwurfs- und Herstellungsprozessen, die die Architektur in Zukunft prägen wird. Die Verkehrsinsel wandelt sich damit zu einem attraktiven Ort für neue Austauschformen ganz im Sinne des Mottos der IBA.

Im Unterschied zu anderen internationalen Willkommenszentren ist das IWC nicht ein Anlaufpunkt für internationale Studierende, sondern ein Zusammenschluss aus Zuwanderungsbehörde und interkulturellem Zentrum. Dieser konzeptionelle Ansatz ist bundesweit neu. Die zentrale Anlaufstelle für Neubürger/innen wird zum Ort der interkulturellen Begegnung und Vernetzung und fördert zivilgesellschaftliches Engagement, indem das Zentrum Räumlichkeiten und inhaltliche Unterstützung für Vereine anbietet. Diese besondere inhaltliche Konzeption ist eine neue Nutzungstypologie, die einer neuen Art von Gebäude bedarf. Er braucht Veranstaltungsflächen für Aufführungen, Vorträge, Präsentationen, Konzerte genauso wie Einzelbüroräume, Coworking Spaces, Bereiche für angenehmes Warten, Gespräche, Vernetzung und Austausch, Werkstätten, Ausstellungsflächen und Spielorte – für alle Generationen. Die momentane räumliche Vorortung dieser Institution mit Modellcharakter bildet diese Bedarfe nicht angemessen ab. Ziel ist es, alle Verantwortlichen zu überzeugen, dass es eine große Chance wäre, für diese Institution geeignete Räume zu konzipieren und zu realisieren. Es geht darum, einen informellen Bildungsort zu schaffen, der den Stellenwert dieser Institution zeigt: wertige Räume in einem multitalentierten Haus, das das abbildet, was dort Innovatives getan wird, das der generations- und kulturell übergreifenden Begegnung und Austausch einen Ort gibt [6].

Zeichen setzen für die Wissensstadt

Für den Schlussspurt bis 2022 muss es das Ziel sein, die vielfältigen guten Ideen, die bisher noch inhaltliches Konzept oder gezeichnete Pläne oder noch nicht ideal umgesetzt sind, in Gebautes, in reale und der jeweiligen Nutzung möglichst gut entsprechende Räume umzusetzen.
Die guten inhaltlichen und ungewöhnlichen Ansätze verdienen eine innovative städtebauliche, landschaftsarchitektonische und architektonische Umsetzung. Es werden Lernraumprojekten entstehen, die zeigen, dass Bildungsräume für die Vielfalt der Gesellschaft von Relevanz sind und sich nicht nur auf die formale Bildung beziehen. Es bedarf mutiger Projektträger, die mit Unterstützung der IBA auch bereit sind, Standards zu hinterfragen und die daran glauben, dass die baulichen Ergebnisse die inhaltliche Arbeit unterstützen und weiterentwickeln und dabei gleichzeitig die Stadträume neu prägen und verbessern werden.
Heidelberg kann ein Zeichen setzen, dass es gelingen kann, in Zeiten hohen Drucks nicht nur Bildungsbauten neu zu denken und zu bauen, sondern auch Planungsprozesse langfristig neu aufzustellen und vor allem die informellen Orte des Lernens in der Stadt zu qualifizieren, räumlich aufzuwerten und damit als Vorbild mit vielen Pilotprojekten zu wirken. Es gilt so, eine Vielzahl von Lernräumen mitzugestalten, die der heterogenen Gesellschaft zur Verfügung stehen, die zu einem lebendigen Austausch führen und das Sinnbild einer Wissensstadt sind.

[1] Michael Braum, Undine Giseke, in: Die Wissensstadt von morgen. IBA_LOGbuch No1, Zürich 2017, S. 8.

[2] Zu den Megatrends der Wissenskultur siehe: https://www.zukunftsinstitut.de/

[3] Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen, Brüssel 2001, S. 33 ff.

[4] Karl-Heinz Imhäuser: Wissen in der offenen Gesellschaft. Die Ressource der Zukunft und ihre Verortung in Städten und Gemeinden. In: Die Wissensstadt von morgen – Reflexionen, Zürich 2017, S. 62ff.

[5] Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft (Hg.): Bildungsband Osdorfer Born. Die Bildungslandschaft Osdorf/Lurup finden und entwerfen. Bonn 2017.

[6] Prof. Dr. Beatrix Busse zum IBA-LAB No. 3: Place-making für Bildungsorte

Der Beitrag von Barbara Pampe: »Wissen baut auf Vielfalt – Die Lernraumprojekte der IBA Heidelberg« (S. 52 ff.) erscheint in:

IBA_LOGbuch No2: DYNAMIK DER WISSENSSTADT_Projekte, Prozesse
IBA Heidelberg (Hg.)
Redaktion: frei04 publizistik
ISBN 978-3-03860-172-2
Park Books 2019
Broschiert, 144 Seiten

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