16. Juni 2025; Von: Tristan Hans , Antonia Blaer-Nettekoven

SOS Frankfurt on Tour – Lernlandschaften und eine Bibliothek

Ein innovatives Küchenkonzept, offene Lernlandschaften und eine unkonventionelle, multifunktionale Bibliothek: Bei der Lernreise des SOS-Projektes IGS Süd haben wir inspirierende Lernorte in Köln, Roermond (NL) und Tilburg (NL) besucht.

Zusammen mit dem SOS-Projekt IGS Süd in Frankfurt am Main haben wir uns auf den Weg gemacht: Lernbegleiter*innen, Schulleitung und Schüler*innen der Schule, das Planungsteam aus Architektur, Brandschutz und Akustik, das Stadtschulamt und das Amt für Bau und Immobilien haben auf der zweitägigen Lernreise nach Köln, Roermond (NL) und Tilburg (NL) Impulse zu offenen und innovativen Lehr- und Lernorten gesammelt – verbunden mit der Frage, welche Aktivitäten innerhalb welcher Settings dort stattfinden und welche Formate sich für einen Übertrag nach Frankfurt anbieten.

OSK – Offene Schule Köln: Ein partizipatives Küchenkonzept

Die Offene Schule Köln (OSK) definiert sich als inklusive Gesamtschule für Alle. Der durch Hausmann Architekten entworfene Bau verkörpert eine Architektursprache des Unfertigen – Sichtbetonwände und gezeigte Konstruktionen stärken den Werkstattcharakter und laden zur Anpassung auf die jeweiligen Bedarfe ein.

Das pädagogische Konzept basiert auf altersgemischten Lerngruppen (in denen im Primarbereich alle vier Jahrgänge und im Sekundarbereich jeweils drei Jahrgänge zusammen lernen), selbstständiger Arbeit und individueller Förderung. Die aus 25 Schüler*innen bestehenden Lerngruppen werden innerhalb ihrer Cluster von multiprofessionellen Teams aus Lehrkräften und Sonderpädagog*innen bei ihrem individuellen Lernprozess unterstützt.

Bei unserem Besuch liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Schulrestaurant mit dem dort praktizierten pädagogischen Kochen und dem Projekt „Blaupause“, einem schulbetriebenen Café, in dem Menschen mit Förderbedarf erste Einblicke in die Berufspraxis erhalten. Die Gerichte der Mensa werden von Schüler*innengruppen während der Unterrichtszeit und unter Anleitung von vier hauptberuflichen Köch*innen zubereitet. Das Ziel: Durch die regelmäßige Mitarbeit aller Schüler*innen in der Mensa werden sowohl ernährungs- als auch arbeitspädagogische Inhalte vermittelt.

Der Speisesaal geht schwellenarm in das Café über. Betrieben wird das Café als ein eigenständiges gemeinnütziges Unternehmen von einem inklusiven Team aus Schüler*innen der Berufspraxis, Fachpraktikant*innen der Gastronomie und einem inklusiven Küchenteam. Im Sinne der Nachhaltigkeit wurde auf einen Neukauf der für das Café notwendigen Möblierung verzichtet und gebrauchtes Mobiliar dafür aufgearbeitet. Entstanden ist ein Ort mit individuellem Charakter, der stark frequentiert ist und zum gemeinsamen Verweilen auch über die Schulgrenzen hinaus einlädt.

Agora Wings School in Roermond, Niederlande: Raum für individuelle Interessen

Die Agora Wings School ist eine öffentliche weiterführende Schule, auf der sich verschiedene Bildungsabschlüsse bis hin zum Abitur erreichen lassen. Das Konzept sieht einen Verzicht von Klassenräumen, Stundenplänen und definierten Lehrplänen vor. Statt tradierter Klassenräume gibt es in der Agora School offene Lernlandschaften, in denen jede*r Schüler*in an einem individuell gestaltbaren Platz lernen und arbeiten kann.

Das Grundprinzip der Agora School basiert auf der Frage: „Was interessiert dich wirklich?“. Ausgehend davon eignen sich Schüler*innen verschiedene Lehrinhalte in selbstständiger Projektarbeit an. Die Grundprinzipien der Robotik werden anhand von selbstgebauten LEGO-Modellen erfahrbar gemacht, handwerkliche Fähigkeiten werden bei dem Bau von Hühnerställen erlernt, das Kuratieren von Ausstellungen fördert künstlerische und organisatorische Fähigkeiten. Lernen erfolgt hier immer im Kollektiv der Gruppe. Durch den praktischen Bezug wird das Lernen zu einer greifbaren Erfahrung. Innerhalb des Prozesses werden Inhalte aus den Bereichen der Mathematik, Sprache, der Naturwissenschaften und Kunst vermittelt.

Die Lehrkräfte nehmen die Rolle von Coaches und Mentoren ein. Ihre Aufgaben bestehen darin, die einzelnen Mitglieder ihrer Lerngruppe aus ca. 17 Schüler*innen bei ihren selbst gewählten Lerninhalten zu unterstützen und zu fördern. Das Lernen erfolgt innerhalb von Projekten, die auf den individuellen Interessen der Schüler*innen basieren. Diese Herangehensweise ermöglicht es den Lernenden, fachliche Fähigkeiten zu vermitteln und Wissen in realen Kontexten anzuwenden, z. B. in der Textil-, Metall und Holzwerkstatt, der Druckerei oder auch dem technisch- und Robotik geprägten Makerspace.

Das Zentrum der Schule bildet die Agora-Halle. In dem repräsentativen Raum befindet sich eine ca. 10 m hohe Kletterwand, das offene und zentral gelegene Sekretariat und eine große multifunktional bespielbare Fläche, die neben Kommunikationsflächen Platz für Veranstaltungen wie Theateraufführungen oder Konzerten bietet. Die in den Raum der Agora-Halle kragenden und individuell gestalteten Boxen bieten die Möglichkeit für verschiedenste Aktivitäten wie selbstorganisiertes Lernen und Arbeiten, Kommunikation, das Durchführen von Konferenzen oder für Ruhe- und Entspannung. Von der Halle aus abgehend, befinden sich die offenen und persönlich gestalteten Lernlandschaften, die Werkstätten und ein multifunktionaler Raum im Stil eines Hörsaales, der für Vorträge, Theateraufführungen oder zum gemeinsamen Filmeschauen genutzt wird.

Das räumliche Konzept basiert auf Transparenz, Partizipation und Vertrauen. Die in den Raum kragenden Boxen verfügen alle über großflächig transparente Flächen und fördern trotz ihrer räumlichen Fassung eine visuelle Interaktion mit dem Raum – selbiges gilt auch für die Werkstätten und Lernlandschaften. Bauliche Transparenzen erzeugen eine Kultur des Vertrauens zwischen Schüler*innen, Coaches und dem Raum selbst.

LocHal Bibliothek Tilburg: Vielfältige Settings zum Lernen und Arbeiten

Die öffentliche Bibliothek LocHal in Tilburg befindet sich in einer ehemaligen Fertigungs- und Wartungshalle für Lokomotiven aus dem Jahr 1932. Der Umbau zur Bibliothek wurde 2019 durch das Büro Civic Architects aus Amsterdam fertiggestellt. Das Konzept der Bibliothek forciert im Gegensatz zu klassischen Bibliotheken soziale Interaktionen und gemeinschaftliche Aktivitäten und möchte mit einer Vielzahl an räumlichen Angeboten einen größtmöglichen gesellschaftlichen Austausch schaffen.

Innerhalb der LocHal befinden sich Lese- und Lernplätze, eine öffentliche Bühne, ein Café mit Außenbereich, ein gläserner Konzert- und Vortragssaal, Ausstellungs- sowie Konferenz- und Arbeitsräume. Die Bibliothek stellt somit unter Beweis, dass es gelingen kann, zahlreiche Aktivitäten und Formate parallel stattfinden zu lassen, ohne dass diese sich gegenseitig negativ beeinflussen, sondern eher durch einen hohen Anteil an Transparenz Interessen wecken.

Den Lesebereich erreicht man über eine große hölzerne Tribüne, welche zum Lesen aber auch zum entspannten Austausch bei einer Tasse Kaffee aus der bibliothekseigenen Bar einlädt. Hinter der Tribüne befinden sich die offenen Bücherregale. Begleitend zu den Regalen findet man Einzel- und auch Gruppenarbeitsplätze. Das Zentrum der Bibliothek ist von einer Spange aus räumlichen Angeboten umgeben. Die Angebote umfassen Konferenz- und technisch voll ausgestattete Projekträume - durch die Transparenzen der Räume geht der visuelle Kontakt zu dem Hauptraum nie verloren. Bei Bedarf lassen sich die Räume blickdicht gestalten z. B. durch einen Vorhang aus Schnüren, dieser verhindert ein direktes Einsehen von außen. Eine Ebene darüber gelangt man in den Bereich der Sammlungen mit informellen Arbeitsplätzen und Konzentrationsarbeitsplätzen in Glasboxen.

Die Tribüne mit Blick auf den Eingangsbereich eignet sich für Vorträge und Theateraufführungen. Die Fläche vor der Tribüne lässt sich durch einen von der Decke hängenden 15m langen Vorhang räumlich abtrennen – so können innerhalb des großen Hauptraums kleine und intimere Bereiche geschaffen werden. Die in der ganzen Bibliothek verteilten Vorhänge sind eines der stilprägenden Elemente, welche den Raum gliedern. Durch ein schienengeführtes System lassen sich die Vorhänge über ein digitales Tablet automatisiert steuern.

Wie geht es weiter?

Die Lernreisen unserer SOS-Projekte bieten viele Möglichkeiten zur Inspiration und zu einem interdisziplinären Austausch der Teilnehmenden anhand konkreter Referenzen – sowohl inhaltlich konzeptionell als auch baulich. Wir konnten beobachten, wie ein gemeinsames Lernen innerhalb offener Lernlandschaften in altersgemischten Gruppen, praxisbezogenes Lernen und gelebte Inklusion möglich werden, wenn die jeweiligen pädagogischen Konzepte im Einklang mit dem Raum stehen und man sich nicht an tradierten Strukturen wie Klassenzimmern, Frontalunterricht und festen Stundenplänen orientiert. Die vielfältigen Inspirationen werden direkt im Anschluss gesammelt und ausgewertet. Gemeinsam ermitteln wir im weiteren Prozess, welche Maßnahmen, Ideen und Strategien sich für einen konzeptionellen und planerischen Transfer auf das Projekt SOS Frankfurt eignen. Über die Ergebnisse werden wir weiter berichten!

Gesammelte Eindrücke der Teilnehmenden im Nachgang der Exkursion

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