Bereits im August 2021 hat die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft den Kooperationsvertrag mit der Stadt Kassel geschlossen, um mit der Neubauplanung der Offenen Schule Waldau OSW gemeinsam Innovationen im Schulbau zu realisieren und dabei überholte Standards und bestehende Regelungen im Schulbau zu hinterfragen. Die Neubauplanung der OSW ist das zweite Pilotprojekt SCHULBAU OPEN SOURCE der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft. Der gesamte Planungsprozess, Entscheidungen, Erkenntnisse sowie Planungsunterlagen über alle Leistungsphasen hinweg werden über das Online-Tool Schulbau Open Source abrufbar gemacht. Beteiligte im Schulbau aus Kommunen, Architektur und Fachplanung erhalten damit ein weiteres Referenzprojekt für zukunftweisenden Schulbau und zugleich einen detailreichen Einblick in die neuen Herausforderungen und beispielhafte Lösungen in der Planung.
Nächstes Jahr im Sommer soll der Bauantrag eingereicht werden. Bis dahin gilt es den Entwurf integrativ und unter Berücksichtigung der innovativen Zielsetzungen weiterzuentwickeln. Bis 2027 werden über die Tochtergesellschaft der Stadt, der GWG Pro, weitere Schulen geplant und gebaut, in die das neu gewonnene Wissen aus diesem Pilotprojekt einfließen soll.
Skandinavischer Schulbau als Vorbild
Aus dem europaweiten Architekturwettbewerb für die Offene Schule Waldau ging das renommierte Büro C.F. Møller Architects aus Kopenhagen als Sieger hervor. Der Entwurf der Skandinavier ist wie ein dreidimensionales Dorf konzipiert, das als offenes Stadthaus mit Stadtteilbibliothek und Jugendzentrum erlebt werden kann. Der Wettbewerb basiert auf den Phase-Null-Ergebnissen, die das büroschneidermeyer gemeinsam mit der Schulentwicklerin Helga Boldt von 2019 bis 2020 mit der Schulgemeinschaft, dem Jugendzentrum, der Stadtteilbibliothek sowie der Verwaltung und der GWG Pro erarbeitet haben.
Die Offene Schule Waldau
Die OSW Kassel ist eine Versuchsschule des Landes Hessen, reformpädagogisch orientiert und bundesweites Vorbild für inklusive Bildung. Zu ihren Schwerpunkten gehören die systemische Ausbildung selbstorganisierter und individualisierter Lernformen, soziales Lernen sowie Berufsorientierung. Der rhythmisierte Ganztag mit integriertem Mittagessen, an dem aller Schülerinnen und Schüler sowie das Kollegium teilnehmen, ist Bestandteil des pädagogischen Konzeptes. Die sechszügige integrierte Gesamtschule mit 900 Kindern und Jugendlichen wurde bereits 2006 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Wegen Baufälligkeit des Hauptgebäudes aus den 70er Jahren und Pavillonbauten aus den 80er Jahren sind Ersatzneubauten notwendig geworden.
Offene Lerncluster um ein mehrgeschossiges Forum
Mit dem neuen Haus wird auch ein ganztägiges Angebot für Familien des Viertels entstehen, das sich als offene Ankerstruktur im Quartier etablieren soll. Das Erdgeschoss schafft einen überdachten Stadtraum aus Jugendzentrum, Bibliothek und Musikbereich sowie technischen und künstlerischen Werkstätten, die flexibel zusammengeschaltet und öffentlich oder halböffentlich genutzt werden können. Dieser Bereich bildet den Sockel und verbindet sich über ein großes Atrium und nutzbare Treppen mit transparenten Lernclustern der Schule.
Das Kollegium der Schule sieht mit diesem Entwurf ihre Denkweise und die Idee der „Offenen Schule“ am besten repräsentiert. Tanja Seibel, Jurymitglied und Mitglied im Leitungsteam der Schule, beschreibt den Entwurf so:
„Bereits auf den ersten Blick hat man den Eindruck, als könne jede/r dieses Gebäude Betretende/r (auf-)atmen! […] Diese Schule wirkt […] motivierend und unterstützend. […] Das vorgestellte Modell lädt zum Entdecken ein, fördert und fordert sowohl Aktivität als auch Rückzugsmöglichkeiten.“[1]
Nach außen erscheint das Haus als eine terrassierte Landschaft, die als Lern-, Erholungs- und Begegnungsraum mit einer Vielzahl unterschiedlicher Funktionen auch dem Quartier zur Verfügung steht. Große Außentreppen bilden einladende Gesten und machen die Dächer zu einem nutzbaren Landschaftsraum. Einen Schulhof im klassischen Sinne gibt es nicht.
Schule als Werkzeug für soziale Interaktion
Der Gewinnerentwurf zeigt viele Qualitäten, die in skandinavischen Schulen schon länger realisiert werden. Die Schulen von C.F. Møller gelten dabei als Vorreiter innovativer Schularchitektur. Besonders drei Arbeiten des Büros aus Dänemark können als Referenz für das Kasseler Projekt gesehen werden:
Die Copenhagen International School erscheint beispielsweise eher als Werkstattgebäude, losgelöst von einer konventionellen Klassenstruktur. Sie umfasst ein diverses Raumangebot – von ganz kleinen bis ganz großen Räumen mit multifunktional bespielbaren Flächen, die die soziale Interaktion fördern.[2]
Das Herz in Ikast geht noch einen Schritt weiter, da es kein traditioneller Schulbau mehr ist, sondern ein Stadtteilzentrum, das von einer Schule mitgenutzt wird. Jeder Raum soll dabei gleich mehrere ganz unterschiedliche Nutzungen aufnehmen können. So werden die Räume der Schule am Nachmittag auch von anderen Gruppen genutzt. Kommunikation und Kollaboration gehen weit über das konventionelle Schulleben hinaus: Der Raum wird ganz selbstverständlich von vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen gleichzeitig besucht.[3]
Die New Islands Brygge School in einem dichten urbanen Stadtteil von Kopenhagen ohne viel Freiflächen ist ein Gebäude, das durch sich selbst zu physischer Aktivität angeregt. Fassade und Dach werden zu einem Bewegungsparkour mit großen Freitreppen und Außenterrassen, die das Angebot an öffentlichen Freiflächen im Quartier erweitert.[4]
Zur Pressemitteilung der Stadt Kassel (16.2.2022)
Weiterer Beitrag zum Thema:
[1] https://www.osw-online.de/neubau-die-osw-feiert-einen-ersten-etappensieg/
[2] https://www.cfmoller.com/p/-de/Copenhagen-International-School-Nordhavn-i2956.html
[3] https://www.cfmoller.com/p/-de/Das-Herz-in-Ikast-Aktivitatslandschaft-i3513.html
[4] https://www.cfmoller.com/p/New-Islands-Brygge-School-i3412.html