25. Juli 2016; Von: Dr Karl-Heinz Imhäuser

Typologien für lokale Bildungslandschaften

Wie können Städte und Regionen ihre Bildungsangebote in einer offenen Gesellschaft organisieren? Es gibt drei Optionen, vernetzte Bildungslandschaften als kommunale Wissen-Schaffens-Zentren aufzustellen.

Wie sichern wir die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Eignung und Anpassbarkeit von Bildung, im Verständnis eines durch Diversity und Inklusion geprägten gesellschaftlichen Denk- und Handlungsstils? Dies ist ein hoher Anspruch an Wissensvermittlungsangebote und -orte in unseren Städten. Das damit einhergehende Verständnis von Wissensproduktion und -vermittlung unterliegt dynamischen Prozessen, die es aktiv zu gestalten gilt.[1]

Bestehende und neue Orte zum Vorhalten, Schaffen und Vermitteln von Wissen sind in einer offenen Gesellschaft sowohl Orte der Bildung als auch der Begegnung und des Miteinanders. „Aufgabe wird sein, diese Infrastrukturen für die Zukunft zu qualifizieren und für die Nachbarschaft zu öffnen. Im Mittelpunkt stehen Konzepte, welche die Vielfalt im Quartier durch ihre Multifunktionalität fördern und deren attraktive städtebauliche Gestaltung. (…) Der Blick lenkt die Aufmerksamkeit u. a. auf sogenannte lokale Bildungslandschaften, die Bildungsorte auf lokalem Raum effektiv vernetzen und deren Angebote ganztägig nutzbar sind.“[2]

Solche kommunalen Wissens-Schaffens-Zentren sind Orte hybrider Überlagerung bisher institutionell und räumlich getrennter Aufgaben, Rollen und Funktionen. In ihnen entwickeln sich enge Verbindungen zwischen schulischen Bildungseinrichtungen, Orten der Hochschulausbildung, Medien-Gesellschaften und anderen Unternehmen, privat und staatlich.[3]

Es lassen sich drei Typologie von lokalen Bildungslandschaften als kommunale Wissen-Schaffens-Zentren unterscheiden:

Örtliche Überlagerung – Die Stärke baulich-konzeptioneller Bindungen

Kennzeichnend ist die Überlagerung verschiedener Bildungseinrichtungen/ Beratungseinrichtungen/ Medieneinrichtungen/ Sporteinrichtungen innerhalb eines Baukörpers, die bisher Einrichtungs- und Gebäudebezogen getrennt waren. Diese Klammer kann von einem gemeinsamen Baukörper reichen, in dem verschiedene Einrichtungen ablesbar bleiben, bis hin zur Nutzungsüberlagerung eines „shared space“. Im Rahmen getrennter Einrichtungen in einem gemeinsamen Baukörper gibt es in der Regel ein Centermanagement zur klaren hierarchischen Ressourcenzuweisung der Nutzung gemeinsamer räumlicher Ressourcen. Im zweiten Fall ist es eine Hausleitung, die die verschiedenen Nutzungen auf dem „shared space“ in der zeitlichen Folge im Rahmen definierter Nutzungsprioritäten über Aushandlungsprozesse festlegt.

Beispiel: Brede Scholen, Niederlande

Campusverbund – die Stärke starker Bindungen

Kennzeichnend sind starke Bindungen durch formale Kooperationsvereinbarungen verschiedener Bildungseinrichtungen, Beratungs-, Medien- und Sporteinrichtungen. für einen definierten Ablauf bei der Aushandlung gemeinsamer Interessen und Verantwortlichkeiten Diese bedingen ein zentrales Management zur inhaltlichen Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit entlang gemeinsamer Ziele und der gemeinsamen räumlichen Ressourcen, d. h. der Eigennutzungen, Mischnutzungen und Verbundnutzungen. Um über eine solche vereinbarte Regelung strukturwirksame Realisierung hervorzurufen, muss das Ziel die Etablierung eines zentralen Controlling und Berichtswesens sein, die alle Ebenen und die dort jeweils zu verantwortenden Aktivitäten zur Umsetzung der Verpflichtungen einbeziehen. Dafür muss ein Campusverbund über ein übergeordnetes kohärentes Leitbild für das zu steuernde Gesamtsystem verfügen. Es müssen dafür an die bestehenden Verhältnisse anschlussfähige Steuerungsstrukturen mit definier­ten Verantwortungen, Entscheidungswegen und eindeutig zugewiesenen Ent­schei­­dungsbefugnissen verbindlich geklärt und für das Funktionieren schriftlich vereinbart sein.

Beispiele: Bildungslandschaft Altstadt-Nord, Köln; Bildungs-Campus, Osterholz-Scharmbek

Netzwerk – die Stärke schwacher Bindungen

Kennzeichnend sind die Stärke schwacher Bindung in lose gekoppelten Netzwerkstrukturen von sich aufeinander beziehenden Netzwerkpartnern aus verschiedenen Bildungseinrichtungen, Beratungs-, Medien- und Sporteinrichtungen. Netzwerke sind eine spezifische Organisationsform von sozialen Systemen, die sich durch ihre Struktur und ihre Aufgaben – nicht zwingend durch ihre Zielsetzung! von einer klassischen Organisationsform unterscheiden. Wie Granovetter in „The Strength of Weak Ties“ herausgestellt hat, ist es gerade die Verbindung einer durch Unterschiede gekennzeichneten Vielfalt an Perspektiven eines möglichst heterogenen Akteursspektrums, mit der für Netzwerke typischen Form einer durch wenige Regeln gekoppelten Struktur, die die Fähigkeit von Netzwerken zur Entwicklung von Neuem und Innovativem ausmacht. Mit Orthey kann auf die Bedeutung der Ausbildung von Vertrauenskultur und dem besonderen Augenmerk auf die gute Gestaltung von Beziehungen in einem Netzwerk verwiesen werden, wenn man an den Mehrwert dieser Typologie herankommen möchte. Netzwerke zeichnen sich demnach „durch schnell und situativ zu aktualisierende mögliche Beziehungen aus. (…) Netzwerkstrukturen, insofern sie auf Vertrauens- und Beziehungsaspekten basieren, erscheinen formal justierten Strukturen überlegen. Netzwerkstrukturen sind potentiell sehr stark, sie sind dabei verlässlich und zuverlässig – und sie bleiben dabei nahezu „unsichtbar“. (…) Sie behalten hohe Leistungsreserven bezogen auf den gemeinsamen Gegenstand, weil sie kaum Energien in die Organisationsdimension umleiten. Netzwerke sind strukturüberlegen, weil sie strukturunterlegen sind!“

Beispiel: Bildungsband Osdorf/Lurup, Hamburg

[1] Vgl. Montag Stiftungen (Hg.): Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse, S. 15ff. Berlin/Seelze 2012.
[2] Vgl. Bildung öffnet Welten. Stadt bietet Räume. Veranstaltungsankündigung Netzwerk Innenstadt Tagung am 18.2.2016.
[3] Vgl. „Schooling for Tomorrow. Networks of Innovation. Towards New Models for Managing Schools and Systems“. OECD 2003.

Der Blogbeitrag ist ein Auftaktimpuls zur Veranstaltung der internationalen Bauausstellung Heidelberg (IBA) zu Fragen der Nachnutzung des Patrick Henry Village (PHV) in Heidelberg. Im PHV mit ehemals 8.000 Bewohnern soll – gemäß dem Motto der IBA „Wissen schafft Stadt“ – eine Wissensstadt von Morgen entstehen.

In einer ausführlichen Textversion erscheint dieser Beitrag im Rahmen der Veröffentlichung IBA LOGbuch No.1 Wissen | schafft | Stadt.

Skizzen: (c) Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft
Foto: Blick von Norden auf Wohnhäuser des Patrick Henry Village, (c) Wikimedia Commons, 4028mdk09, CC-BY-SA-3.0

Autor:innen

Dr Karl-Heinz Imhäuser

Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung  ist Mitglied der Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission und des Expertenkreises für inklusive Bildung.