16. February 2024; Von: Karolin Kaiser , Hanne Banduch , Klaus Grab

Ganztag und Raum: Lüdenscheider Pilotprojekt auf Lernreise

Alles im Prozess – keine Schule ist perfekt, aber Ideen gibt es überall! Im Rahmen des Projektes „Ganztag und Raum“ besuchte die Workshop- und Steuergruppe aus Lüdenscheid drei Grundschulen in Hamburg: auf der Suche nach Ideen, die auf ihren Ganztag übertragbar sind.

In Hamburg gilt bereits seit ca. 12 Jahren der Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung, der ab 2026 bundesweit eingeführt wird. Somit haben viele Hamburger Grundschulen, die sich in Varianten von offener (OGS) bis gebundener Ganztagsschule unterscheiden, schon Ideen für den Ganztag erprobt und umgesetzt. Ein gutes Ziel also, um sich für das eigene Projekt inspirieren zu lassen.

Auf Grundlage der pädagogischen wie räumlichen Bestandsaufnahme im Rahmen des Prozesses „Ganztag und Raum“ an der Tinsberger Schule in Lüdenscheid waren dazu Schulen zu verschiedenen Themenschwerpunkten ausgewählt worden: multiprofessionelle Teamarbeit, die Potentiale von Umbaumaßnahmen im Bestand und eine veränderte Möblierung sowie die Förderung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses über den ganzen Tag. Ganz im Sinne des Projekts „Ganztag und Raum“ nutzen die besuchten Schulen alle Räume über den ganzen Tag. Eine Unterscheidung von Klassen- und Betreuungsräumen gibt es nicht.

Begleitet vom Prozessteam und von der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft machten sich Vertreter*innen der Schule (Schulleitung, pädagogische Leitung, Lehrer*innen, pädagogische Mitarbeiter*innen, Schulsozialarbeiter*in), des Schulträgers, des Trägers der Jugendhilfe, der Schulaufsicht und der Zentralen Gebäudewirtschaft für drei Tage auf den Weg nach Hamburg.

Schule Eulenkrugstraße: Förderung von multiprofessioneller Teamarbeit

An der Schule Eulenkrugstraße im Norden Hamburgs beeindruckt neben den atmosphärischen Räumen besonders der Prozess, an dem das dortige Team aus Pädagog*innen des Vor- und Nachmittags (Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter*innen) seit rund einem Jahr arbeitet.

Anfang 2023 stand die Schule vor der Herausforderung, dass der bisherige externe Träger die OGS nicht weiterführen würde und sie die Ganztagskoordination mit einem Vorlauf von ca. sechs Monaten in Eigenregie übernehmen mussten. Dies erforderte eine Teamleistung aller Beteiligten, ein Umdenken in der Teamstruktur und die Organisation von externen (teilweise auch fachfremden) Personen, um den ganzen Tag qualitätsvoll zu füllen und Kurse anzubieten. Dabei bot sich zugleich die Chance, den Tag grundsätzlich anders strukturieren zu können. An einem gemeinsamen pädagogischen Tag wurden räumliche Veränderungen vorgenommen. Diese gemeinschaftsbildende Aktion stärkte das Wir-Gefühl und gab den Anstoß für einen Prozess, in dem das Kollegium in den direkten Austausch gehen kann. Gleichzeitig wurde der Ganztag und die multiprofessionelle Zusammenarbeit umstrukturiert.

Das Fazit für die Reisegruppe: Auch mit wenig Mitteln können in kurzer Zeit große Effekte erzielt werden. Es muss nicht ewig dauern, bis Veränderung spürbar wird! Und: Interessant ist auch das Freeflow-Angebot an Kursen, das den Kindern an einigen Tagen der Woche von 13 bis 15 Uhr zur Verfügung steht. Sie können je nach Energielevel und Stimmung aussuchen, an welchem der offenen Angebote sie teilnehmen möchten – ob Schulgarten, Yoga oder Spiele in der Turnhalle.

Schule Kielortallee: Umbaumaßnahmen im denkmalgeschützten Bestand

Die Schule Kielortallee legt den Fokus der Beteiligten auf die Potentiale von (minimalinvasiven) Umbaumaßnahmen im denkmalgeschützten Bestand. Durch eine Umorganisation sowie geringfügiges Aufbrechen von Wänden wurden in der Schule neue Lernmöglichkeiten und -settings geschaffen. In Clustern steht nun die gesamte Flurfläche als Lernort zur Verfügung. Begleitet wurde der Prozess von der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB), insbesondere Adrian Krawczyk, der sich dem Thema „Ganztägigkeit" im Spannungsfeld von Flächennutzung und Pädagogik widmet. Ein ergänzender Erweiterungsbau mit Pausenhalle, Sporthalle und weiteren Unterrichtsräumen fügt sich durch seine Form, die Zonierung seiner Geschosse sowie durch Farbe und Materialität in das gründerzeitliche Straßenbild der Kielortallee ein. Umbau und Neubau wurden von dem Büro PPP Architekten + Stadtplaner im Jahr 2017 realisiert. Tiefe Fensterbänke mit Hockern ermöglichen beliebte Arbeitsplätze am Fenster, die nicht viel Platz benötigen. Weitere interessante Details: magnetische Türrahmen, damit sich die Kinder in der Lernumgebung verorten können, oder an den Wänden montierte Flaschenhalterungen, um die Trinkflaschen nah erreichbar zu haben.

Grundschule Bahrenfelder Straße: ein gemeinsames Bildungsverständnis mit angepasster räumlicher Ausstattung

Letzte Station war die Grundschule Bahrenfelder Straße in Ottensen, die nach ihrer Sanierung über Brandschutz-Kompartments mit pädagogisch nutzbaren Flurflächen verfügt und ihr Konzept zum individuellen Lernen nun auch räumlich leben kann. Die Workshopgruppe spürte auch noch einmal deutlich, dass nicht nur Räume die Schule und ihre Atmosphäre ausmachen, sondern dass es vor allem die Menschen sind, die das Konzept leben.

Hier wurden mit einer veränderten Ausstattung wie Holzhäuschen und Podesten sehr unterschiedliche Lernumgebungen geschaffen, die sowohl Rückzugsorte als auch Präsentations-, Lern- und Aufenthaltsbereiche ermöglichen.

In einem Unterrichtsraum der 1. Klasse wird gerade das Churer Modell erprobt, das die Kinder darin stärken soll, sich selbständig ihre passende Lernumgebung zu suchen. Die Kinder haben keinen festen Sitzplatz, sie finden ihre Arbeitsplätze entweder auf dem Teppich, auf den Bänken im Sitzkreis, auf Podesten am Fenster oder in den Nischen vor der Klasse. Flexibles Mobiliar, wie ein U-förmiges Holzgestell, kann gleichzeitig Bank, Pult, Hocker oder Präsentationsfläche sein.

Das Leitungsteam aus OGS und Schulleitung ermutigt die Lüdenscheider Kolleg*innen, im Kleinen anzufangen, Dinge und Abläufe dort zu erproben, zu evaluieren, ggf. anzupassen und erst dann auf andere Bereiche auszuweiten. Das Konzept muss nicht von Anfang an abgeschlossen und fertig sein – es ist ein stetiger Prozess, in dem nachgesteuert und immer weiterentwickelt werden darf und muss.

Insgesamt nehmen die Lüdenscheider*innen mit, dass sie an ihrer Tinsberger Schule schon Vieles praktizieren und angestoßen haben. Darauf lässt sich aufbauen. Und: Sie verfügen bereits über einen hohen Wert, denn als Team sind sie stark. Neben dieser Motivation nehmen alle Beteiligten viele Ideen, Impressionen und Gedanken in den weiteren Prozess „Ganztag und Raum“ mit, um das integrierte Nutzungskonzept für die Tinsberger Schule weiter zu konkretisieren.

Autor:innen

Karolin Kaiser

Dipl.-Ing. Landschaftsarchitektin AKHH und assoziierte Partnerin büro luchterhandt & partner, Prozessbegleitung Architektur „Ganztag und Raum“, Pilotprojekt in Lüdenscheid

Hanne Banduch

Dipl.-Ing. Fachrichtung Architektur, büro luchterhandt & partner, Prozessbegleitung Architektur „Ganztag und Raum“, Pilotprojekt in Lüdenscheid

Klaus Grab

Freiberuflicher Fachberater Schulentwicklung, Prozessbegleitung Pädagogik „Ganztag und Raum“, Pilotprojekt in Lüdenscheid