Gemeinsames Lernen
Mit dem Schulneubau in Schendlingen wird ein zentrales Ziel der Bildungspolitik in Bregenz realisiert[1]: Unter einer gemeinsamen pädagogischen Leitidee schließen sich Volksschule (Grundschule) und Mittelschule zusammen. So verbringen die Kinder nun acht Jahre gemeinsam in einem Haus. Das ermöglicht den Schulen eine neue Art des Miteinanders. „Die lange gemeinsame Zeit intensiviert den Zugang zu Familien“, sagt Tobias Albrecht, Schulleiter der Mittelschule. „Das ist besonders für Jugendliche mit einem eher bildungsfernen Hintergrund sehr wichtig.“
Ein Anker im Quartier
Überraschend ist, dass das neue gemeinsame Gebäude weniger Fläche einnimmt als die ehemalige Volksschule an derselben Stelle. Die Mittelschule war zuvor im angrenzenden Stadtteil Rieden verortet. Der kompakte Baukörper ist freigestellt und schafft großzügige Außenflächen, die sich ohne Abgrenzung in die Nachbarschaft öffnen. Auch mitten am Tag laufen Leute über das Schulgelände, weil das Gelände eine Abkürzung im Quartier ermöglicht. Tiefe Rücksprünge im Gebäude schaffen geschützte Außenzonen in den Eingangsbereichen. Mit dem Neubau entsteht inmitten der bislang monotonen Einfamilienhausgegend ein großzügiger öffentlicher Platz mit Sitz und Spielmöbeln und einem gut gestalteten Sportplatz. Das ist besonders für die Jugendlichen der Mittelschule wichtig, die nicht aus der Gegend kommen. Für sie bilden Haus und Schulgrund eine Ankerstruktur, die jederzeit geöffnet ist. Viele bleiben auch lange nach Unterrichtsende auf dem Gelände.
Cluster als Heimat
Die Schule ist als offenes Haus geplant. Die Räume stehen den Kindern und Jugendlichen ganztägig zur Verfügung und auch der Schulbetrieb erstreckt sich häufig über den ganzen Tag. Die Doppelschule ist in insgesamt acht 3er-Clustern organisiert, welche je etwa 75 Kindern und Jugendlichen eine feste Heimat bieten. Hier können sich die Kinder und Jugendlichen auch eigenständig aufhalten, denn die hohe Transparenz des Gebäudes ermöglicht viele horizontale und vertikale Durchblicke – Ansprechpartner sind immer in Sicht. Tobias Albrecht sagt: „Es ist wichtig sich von der Angstkultur zu lösen – Öffnen bedeutet eben auch Loslassen!“
Mitsprachekultur
Die Cluster sind auch für die Lehrkräfte ein geschützter Bereich, die dort ihren eigene Teamstation haben, die auch einen Überblick über die Clusterflächen ermöglicht. Ohne zentrales Lehrerzimmer, ändert sich auch das Verhältnis der Schulleitung zu den Lehrkräften. „Früher ist jeder bei mir vorbeigekommen. Heute ist es umgekehrt. Ich muss rumgehen und bei meinen Mitarbeitern vorbeischauen. Das bewirkt eine völlig andere Sicht der Dinge – eine demokratische Reform der Schulleitung!“ Zusätzlich zu den Arbeitsplätzen in den Teambereichen gibt es einen gemeinsamen Erholungs- und Kommunikationsbereich mit Küchenzeile im Erdgeschoss und eigenem Ausgang ins Freie.
Wertschätzung
Die Hohe architektonische Qualität des Hauses mit wertigen Materialien drückt eine spürbare Wertschätzung der Nutzer/innen aus. Das gemeinsame Atrium ist mit Terrazzoboden belegt, edle massive Holztische im zentralen Forum und Holzauflagen auf den Atriumbrüstungen laden zum Verweilen ein. Die verglasten Holzständerwände wirken edel, robust und dennoch leicht. Die unbehandelten Eschendielen als Fußbodenbelag in den Clustern vermitteln eine wohnliche Wärme – die Schüler/innen selbst schleifen sie jedes Jahr mit Schleifpapier fein ab. Besonders auffällig sind die dicken grauen Filzbaffeln, die im Verbund mit den rohen Betondecken eine ungewöhnlich gute Akustik erzeugen. In ihrer ornamentalen Anordnung geben sie den Clusterräumen, wie schwere Draperien, eine geradezu festliche Atmosphäre.
Ganztagsnutzung spart Raum
Bereits zwei Jahre bevor es einen Architekturwettbewerb gab, haben die beiden Schulen angefangen, sich mit dem benötigten Raumbedarf auseinander zu setzen. Beraten wurden sie dabei von Otto Seydel. Der Übergang zum Ganztag ermöglichte dabei eine neue Betrachtung des Raumbedarfes. Denn eine Schule, die bis in den Nachmittag geöffnet ist, kann sich ganz anders im Raum verteilen. Raumbedarfe werden nicht additiv gedacht, sondern multifunktional über den Tag betrachtet. So wird insgesamt viel Fläche eingespart und die meisten Räume sind konsequent mehrfach nutzbar. Für die 600 Kinder und Jugendlichen der beiden Schulen werden insgesamt nur sechs Fachräume benötigt. Tobias Albrecht: „Das Haus funktioniert wie eine gut geölte Maschine.“ Diese Doppelnutzung von Raumflächen wird auch in den Clustern fortgeführt. Als inklusive Schule wird für Differenzierung die Clustermitte genutzt, auf zusätzliche Gruppenräume wird bewusst verzichtet. Tobias Albrecht: „Das ist dann nämlich nicht inklusiv, wenn für bestimmte Kinder wieder eigene Räume benötigt werden! Alle müssen mit allen klarkommen. Die Frage ist immer: Wie kriegen wir das zeitlich in einen Rahmen? Und nicht: Wie kriegen wir das räumlich in einen Rahmen!“
Kompakt, transparent und wandelbar
Dabei hilft, dass die Schule im Grundriss sehr klar und kompakt organisiert ist. Beide Schulen nehmen je eine Gebäudehälfte ein. Das Atrium und die daran anliegenden Fachräume werden von beiden Einrichtungen gleichermaßen genutzt. Wegen der guten Sichtbezüge durch die Geschosse, bieten sich auch andere Formen der Kooperation zwischen den Clustern – auch zwischen beiden Schulen – an. Tobias Albrecht: „Das Haus leitet Lehrpersonen in einem bestimmten Bereich zu arbeiten, ohne dass ich als Schulleiter etwas dazu tun muss. Ich muss nicht über moderne Pädagogik reden, das ergibt sich automatisch! Die Verknappung von räumlichen Ressourcen wirkt hier als Motor für pädagogische Entwicklungen.“
Die Cluster selbst – je zwei pro Geschosshälfte – sind um je einen Lichthof ineinander verzahnt angeordnet. Der Lichthof und die eingeschnittenen Terrassen ermöglichen, dass die Cluster immer zweiseitig belichtet werden. Gleichzeitig nehmen die Innenhöfe die Fluchttreppen auf, die im Alltag Abkürzungen durch das Haus bieten. Die transparenten Wände im Cluster sind als Holzständerwände mit Verglasungen ausgeführt und dienen gleichzeitig als Regale und Computerarbeitsplätze: Mehrfachnutzung bis in die Raumbestandteile. Ausbau und Rohbau sind klar voneinander getrennt, sodass durch partiellen Rückbau der Wände offene Lernlandschaften entstehen könnten. Tobias Albrecht: „Beim Bezug eines neuen Schulgebäudes soll uns das Haus total überfordern. Jetzt stellen wir fest, dass uns es jeden Tag zuflüstert: Du hast meine Möglichkeit noch gar nicht voll ausgeschöpft!“