25. August 2016; Von: Dr Karl-Heinz Imhäuser

Inklusion sucht Raum: Schulentwicklung in fünfzehn Portraits

Das Buch „Inklusion sucht Raum“ geht aus pädagogischer Perspektive der Frage nach, welche Bedeutung der Schularchitektur in Bezug auf die Nutzung der Räume bei der Umsetzung von Inklusion zukommt.

„Inklusion sucht Raum“, 2015 im hep Verlag erschienen, gliedert sich im Hauptteil in 15 Schulportraits, die sich mit der Frage der Umsetzung von Inklusion infolge der Unterzeichnung der UN- Behindertenrechtskonvention auseinandersetzen und damit aktuelle Schulentwicklungen in Bildungseinrichtungen aufgreifen.

Das Buch bezieht sich allein auf die Umsetzung von Inklusion im Regelschulsystem in Bezug auf Schüler/innen mit Behinderungen. Das internationale Verständnis inklusiver Bildung – das muss vor dem Hintergrund der spezifischen Verengung des Inklusionsbegriffs im deutschen Diskurs betont werden – ist dagegen umfassend, also nicht nur auf die Thematik der Beschulung von Schüler/innen mit Behinderungen ausgerichtet: Inklusive Bildung, das heißt jede/n einschließende und damit keine spezifische Gruppe ausschließende, für jede/n offene, frei zugängliche gleichberechtigte und hochwertige Bildung.[1]

Einleitend wird die Frage nach Schulraum und Schulqualität im Kontext von Inklusion formuliert. Die im Hauptteil dargestellten Schulen werden dann abschließend anhand dieser Fragestellung zusammenfassend kommentiert und eingeordnet. Das Schlusskapitel „Inklusion und Raum – eine Suchbewegung in schwierigem Gelände“ kündigt dabei schon im Titel an, dass die Lesenden vermutlich enttäuscht werden in ihrer Erwartung konkreter Antworten auf diesen komplexen Zusammenhang. Vielmehr wird hier eine Spurensichtung und Bestandsaufnahme vorgenommen. Tatsächlich wirft das abschließende Kapitel vielmehr Fragen auf, als dass es gesicherte Befunde darstellt. Der Herausgeber Wolfgang Schönig bezeichnet die Ergebnisse seiner Studie selbst als „Zwischenergebnisse“ in einem langen Prozess, denn: „Auch der vergleichende Blick auf die Schulportraits lässt es keineswegs zu, die Frage nach dem optimalen inklusiven Schulraum mit ein paar wenigen Federstrichen zu beantworten.“ [2]

Die von verschiedenen Autoren verfassten Schulportraits folgen keiner einheitlichen Gliederung. In der für jedes Schulportrait individuellen Darstellungsform zeigt sich, dass uns noch allgemeingültige Kriterien und Richtlinien fehlen, um Raum und Inklusion so zu „messen“ und zu beschreiben, dass alle an der Planung von inklusiven Schulbauten beteiligten Disziplinen, Akteur/innen und Nutzer/innen, Planer/innen, Politik und Verwaltung gleichermaßen angesprochen werden.

So beschreibt dieser Band die unterschiedlichen Wege, die Pädagog/innen in den verschiedenen Bildungseinrichtungen gefunden haben, um der Inklusion behinderter Schüler/innen in ihrer Regelschule in Bezug auf Raumfragen gerecht zu werden. Für Schulen, die sich selbst mit dieser Frage schon beschäftigen haben, bieten die Portraits eine Fundgrube dafür, welche Bedeutung der Raum in Bezug auf Umsetzungsaspekte hat. Hier findet sich in den Darstellungen der einzelnen Schulen viel Anregungspotential, das darauf hin geprüft werden kann, was davon für die eigene Situation passend und zuträglich und damit adaptierbar ist. Profitieren kann von diesen Ausführungen jeder, der mit einer offenen Lesehaltung an das Buch herangeht. In dem Gefühl, sich beim Eintauchen in die Schulportraits auf einer Exkursion mit Blick über den eigenen Tellerrand zu befinden, stellen sich in Bezug auf die beschriebenen Schulen folgende Fragen [3]:

•    Welches Problem soll mit dieser Lösung angegangen werden?
•    Wo liegt im Detail der Unterscheid zu meiner Schule?
•    Welche Nachteile und Risiken sind mit dieser Lösung für unsere Schule vielleicht verbunden
•    Welche zusätzlichen Informationen benötige ich eventuell?

Da der Schwerpunkt klar auf kleinen Maßnahmen in Bestandsgebäuden liegt, portraitiert das Buch nur wenige innovative Neubauvorhaben. Dargestellt sind hier eher exemplarische Lösungsansätze, die im Kontext von ähnlichen Fragestellungen zur Beschulung von Schüler/innen mit Behinderungen im eigenen Gebäude anregend sein können.
Dabei ist es durchaus irritierend, dass unter dem formulierten Hauptaspekt des Buches auch mehrere Förderschulen porträtiert werden. Denn die gegenwärtig drängende Frage für viele Schulen und Schulträger sind die Anforderungen an den Schulraum in Regelschulen, wenn bei steigenden Inklusionsanteilen mehr Schüler/innen mit besonderen Bedarfen in die Regelschulen kommen.
Architekt/innenen und Planer/innen seien bei der Lektüre vorgewarnt: Das im Buch verwendete Fotomaterial ist dezidiert mit der Brille und aus dem Blickwinkel von Pädagog/innen aufgenommen worden und unterscheidet sich von dem in jenen Disziplinen gewohnten Blickwinkel und Ansprüchen an Bildqualitäten erheblich.

Wolfgang Schönig, Christina Schmidtlein-Mauderer (Hrsg.): Inklusion sucht Raum. Porträtierte Schulentwicklung, Bern 2015.

[1] Vgl.: Vereinte Nationen, Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
[2] Raum und Inklusion, S. 316.
[3] Folgende Fragen finden sich in ähnlicher Formulierung in: Schulen planen und bauen; Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Montag Stiftung Urbane Räume (Hrsg.), Berlin/Seelze 2012; S. 194.

Autor:innen

Dr Karl-Heinz Imhäuser

Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung  ist Mitglied der Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission und des Expertenkreises für inklusive Bildung.