20. April 2021; Von: Eva Stein

Bildung in Beton

Schulprojekte, Audiowalks, ein Manifest und vieles mehr sind das Resultat der künstlerisch-spekulativen Auseinandersetzung von Schülerinnen und Schülern mit ihrem Schulraum an acht Berliner Schulen.

Das Projekt Bildung in Beton vom Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin, ging im Schuljahr 2020/2021 in die Stadt – und an ihre bauliche Substanz: An acht Berliner Schulen, deren Gebäude aus den 60er und 70er Jahren stammen, spekulierten Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern über die eigene Lernumgebung. Wie lernt es sich heute in den Bildungslaboratorien von gestern? Wie lassen sie sich als Lernorte der Zukunft mitgestalten, um den Curricula von heute und morgen zu begegnen? Und welche Möglichkeiten bestehen überhaupt, um sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen und die Bildungslandschaften der Zukunft mitzugestalten?

Unberechenbare künstlerische Forschung

Geleitet von diesen Fragen arbeiteten die Schülerinnen und Schüler und die Kunstschaffenden gemeinsam in Projekttagen und -wochen unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie. Trotz dieser Einschränkungen entstand ein breites Spektrum an Möglichkeiten, Räume neu zu denken, zu nutzen, Raumkonzepte zu sprengen bzw. neu zu besetzen. Ob die eigene Schule als Wohnraum inszeniert wird, experimentelle Schulmöbel entworfen und gebaut, Außenanlagen neu besetzt werden, oder Schule als utopische Kunstzone spekuliert wird: Mit den Mitteln des Trickfilms, der Soundcollage, des Modellbaus und der Performance entstanden neue Visionen von Lernumgebungen, die sich nicht an tatsächlichen Machbarkeiten orientierten, an finanzieller Ausstattung, Statik-Konzepten oder Baugenehmigungen – alle Projekte sind davon geprägt, dass die Beteiligten den Regelbetrieb des Lernens und Lehrens verließen, um sich der Unberechenbarkeit künstlerischer Forschung auszusetzen.

Die Ergebnisse werden in Form filmischer Dokumentationen Bestandteil der HKW-Ausstellung Bildungsschock – Lernen, Politik und Architektur in den 1960er und 1970er Jahren sein. Die von Tom Holert kuratierte Schau untersucht die globale Bildungsoffensive jener Zeit und zeigt, wie sich damalige Bildungsdebatten in Schularchitekturen und Experimenten des Lernens und Lehrens artikulierten. Zusätzlich sind im Rahmen von Bildung in Beton Audiowalks geplant, bei denen neue Perspektiven auf die Schulumgebung, Schulen und Kieze gegeben werden. Die Ergebnisse der acht künstlerischen Projekte finden sich ebenfalls innerhalb der Audio-Formate und auf hkw.de wieder und ermöglichen es den Utopievorstellungen der Jugendlichen nachzuspüren.

Manifest erlaubt Einblicke in Schulbau-Status Quo

Im Anschluss an die Projektwochen entstand auch ein Manifest. Diesen Forderungskatalog an die Lernumgebung der Zukunft formulierten die Jugendlichen gemeinsam mit den Lehrenden, der Erziehungswissenschaftlerin Caroline Assad und der Künstlerin Cana Bilir-Meier. Er richtet sich an Akteurinnen und Akteure, die wichtig sind für die Entwicklung künftiger Schulneubauten: Lehrkräfte, Architektinnen und Architekten, Bezirksverwaltungen, Schülervertretungen und Verbände. Das Resultat sind vierzehn Forderungen, die nicht etwa phantasievolle Utopien, die Verlegung des Unterrichts auf die Straße, in die Stadt bzw. gänzlich in einen gut ausgestatteten digitalen Raum verlangen – stattdessen handelt es sich um Wünsche nach einem rudimentär menschenwürdigen Lernumfeld, das Sauberkeit, Ruhezonen, Barrierefreiheit und gesundes Essen bietet. Das, was eigentlich selbstverständlicher Status Quo sein sollte. Dies lässt Beunruhigendes über den Ist-Zustand Berliner Schulbauten erahnen.

Das Manifest wird im Vorfeld der Ausstellung Bildungsschock an Schulleitungen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus Stiftungen, Kultur- und Bildungsinstitutionen, Zuständige in den Verwaltungen, den Ministerien der Bundesländer sowie im Bundesministerium für Bildung und Forschung versendet. Darüber hinaus steht es in der Ausstellung als Abreißblock zum Mitnehmen in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung.

Workshop „Blick aus dem Beton“ – Eine Kooperation der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft mit der HKW

In Kooperation mit der HKW initiiert die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft einen Workshop „Blick aus dem Beton“. Am Manifest beteiligte Berliner Schülerinnen und Schüler werden sich mit Gleichaltrigen weiterer Schulen – die sowohl baulich als auch pädagogisch-didaktisch zukunftsweisend sind – austauschen. Schülerinnen und Schüler sollen im Dialog miteinander erleben, dass Transformationsprozesse in Schulen und im Schulbau bereits im Gange sind. Ziel ist es, ihren Horizont zu erweitern, um die häufig „betonierten“ Vorstellungen des starren, tradierten Schulsystems weiter zu überwinden.

Bildung in Beton mit Caroline Assad, Bauereignis Sütterlin Wagner Architekten, Cana Bilir Meier, Alexandre Decoupigny, Nezaket Ekici, Turit Fröbe/Carina Kitzenmaier, Eva Hertzsch/Adam Page, Evgeny Khlebnikov, Maryna Markova, Branca Pavlovic, Sarah Wenzinger, Thomas Wienands und Schülerinnen und Schüler der Schulen ATRIUM Jugendkunstschule/Bettina-von-Arnim-Schule, Campus Hannah Höch, Carl-von-Linné-Schule, Carl-von-Ossietzky-Schule, Hans-Rosenthal-Grundschule, Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium, Thomas-Mann-Gymnasium, Walter-Gropius-Schule

Mehr Informationen: www.hkw.de/bildunginbeton

Bildungsschock Lernen, Politik und Architektur in den 1960er und 1970er Jahren
Do, 01. April 2021 — So, 11. Juli 2021 www.hkw.de/bildungsschock

Autor:innen

Eva Stein

Eva Stein ist Programmkoordinatorin für Kulturelle Bildung am Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin. Sie initiiert Schulkooperationen im Kontext der Programme des HKW, die durch spekulative, forschende Arbeitsweise in Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen  geprägt sind, und sich u. a. der Frage widmen, wie Schule auf die gesellschaftlichen Anforderungen der Gegenwart und Zukunft vorbereiten kann.