29. Juni 2020; Von: Urs Walter

Schulen im Holzsystembau – Pädagogischer Experimentierbaukasten oder billiger Typenbau?

Berlin und Hamburg entdecken den Holzbau. Um die dringend benötigten Schulplätze mit geringer Planungs- und Bauzeit zu realisieren zu können, haben beide Stadtstaaten großangelegte Schulbauprogramme mit Typenschulen in Holzbauweise gestartet. Das ist ökologisch gut, pädagogische Anforderungen und die Ausrichtung auf Zukunftsfähigkeit werden leider vernachlässigt.

Mit der „Neuen Tranche Holzmodulschulen“ hat der Berliner Senat soeben den Weg für die unbürokratische und beschleunigte Umsetzung von drei Integrierten Sekundschulen und mehreren Grundschulen in Holzmodulbauweise freigemacht[1]. Außerdem werden in den nächsten vier Jahren mindestens 10 – optional bis 32 –  Modulare Ergänzungsbauten aus Holz gebaut[2].

Letztes Jahr im Dezember hat der Hamburger Senat sein „Hamburger Klassenhaus“, eine Planung von zwei- bis dreigeschossigen Schulhäusern aus vorgefertigten Modulen, vorgestellt. Diese werden nach Bedarf bei einem Generalunternehmer abgerufen und binnen 21 Wochen erstellt. 36 Erweiterungen von Grundschulen sind auf diese Weise geplant[3].

Abgesehen davon, dass die Dringlichkeit für den Bedarf an neuen Schulplätzen eine Folge versäumter rechtzeitiger Schulentwicklungsplanung ist, zeigt das Engagement für den Holzbau in die richtige Richtung. Die Klimaziele sind nur zu erreichen, wenn konventionelle Bauweisen überdacht werden – es ist gut, dass der Schulbau hier mit gutem Beispiel vorangeht! Aus pädagogischer Sicht sind die neuen Typenbauten in Berlin und Hamburg leider ein großer Rückschritt, denn realisiert wurden bislang nur konventionelle Klassenraum-Flur-Schulen.

Ob Hamburger Kompartment oder Berliner Compartment – realisiert werden weiterhin Klassenraum-Flur-Schulen

Dabei haben beide Stadtstaaten wichtige Weichen für neue Schulraumtypen schon gestellt. Um Lerncluster oder offene Lernlandschaften baurechtlich zu ermöglichen, führt der Hamburger Bauprüfdienst den „Kompartment“-Begriff bereits abweichend zur Musterschulbaurichtlinie ein. Das sind Brandschutzeinheiten, die ohne notwendige Flure flexibel unterteilt werden können. Das „Hamburger Klassenhaus“ bietet in diesem Sinne Raummodule von 450 m2 frei bespielbarer Fläche, jedoch macht schon der Name deutlich, dass eine Abkehr von Klassenraumdenken offenbar schwerfällt: Die bislang realisierten „Klassenhäuser“ und auch die von der Schulbau Hamburg GmbH (SBH) vorgestellten Grundrissvarianten zeigen allein konventionelle Klassenraum-Modelle[4].

Ebenso hat Berlin im Jahr 2017 die Schulbauoffensive für mehr Schulqualität eng mit dem Begriff „Compartment“ für neue Schulraumtypologien verbunden[v]. In der im April angekündigten „Neuen Tranche Holzmodulschulen“ spielen Anforderungen einer verändernden Pädagogik jedoch keine Rolle. In ihrer eigenen Pressemitteilung hebt die zuständige Staatssekretärin und Leiterin der Taskforce Schulbau allein die kurzen Realisierungszeiten und die ökologischen Aspekte der Modulbautypen hervor[5].

Holzsystembau könnte die Schulentwicklung vorantreiben

Die SBH macht deutlich, dass die Hamburger Klassenhäuser für eine Lebenszeit von 80 Jahren angelegt sind. Damit werden bereits überkommende Klassenraumkonzepte bis ins 22. Jahrhundert hinein manifestiert. Problematisch an den Typenschulen ist auch der Fokus auf Unterrichtsflächen. Für den Ausbau der Schulen zum Ganztagsbetrieb rücken andere Funktionen in den Vordergrund: vor allem Gemeinschaftsbereiche und die Öffnung der Schulen zum Stadtteil.

Wenn die Schulbauprogramme bei ihrem Kurs bleiben, ist das nicht nur eine vertane Chance für die Gegenwart, sondern macht aus den Modulschulen schwerwiegende Altlasten für die Zukunft. Während anderenorts gerade 100-jährige Altbauten mit großem baulichen Aufwand neuen pädagogischen Konzepten angepasst werden, entstehen neue Schulen, die bereits heute den aktuellen pädagogischen Anforderungen nicht gerecht werden. Das ist weder ökologisch noch wirtschaftlich nachhaltig.

Schulpädagogik befindet sich in einer Umbruchphase. Die Entwicklung neuer räumlicher Konzepte verläuft parallel dazu. Um die Chance des flexibel konfigiurierbaren Systems wie das „Hamburger Klassenhaus“ zu nutzen, braucht es einen begleitenden in die Zukunft blickenden Schulentwicklungsprozess. Sonst besteht die Gefahr, dass immer nur das Vorhande reproduziert wird und neue räumliche Lösungen nicht eingefordert werden. Dabei könnten gerade mit temporären Modulbauten räumlich offene Konzepte für die Zeit des Übergangs getestet werden.

[1] https://www.berlin.de/sen/bjf/service/presse/pressearchiv-2020/pressemitteilung.929559.php

[2] Jan Friedrich, Die Frankfurter Schule, in: Bauwelt 9.2020, S. 47

[3] http://www.schulbau.hamburg/contentblob/13349712/99ee69cebf818dc6719e36cede1fc75c/data/steckbrief-klassenhaus.pdf

[4] http://www.schulbau.hamburg/klassenhaus/

[5] https://www.berlin.de/schulbau/konzept/schulraumqualitaet-782921.php

[6] https://www.berlin.de/sen/bjf/service/presse/pressearchiv-2020/pressemitteilung.929559.php