04. Mai 2020; Von: Gabriela Burkhalter

Die Schule der Zukunft braucht einen Pausenplatz der Zukunft

Gabriela Burkhalter stellt den Schulhof der Zukunft am Beispiel der Primarschule Krämeracker Uster in der Schweiz vor und zeigt, wie sich der Außenraum von den Freiluftschulen der 1920er zum asphaltierten Pausenhof der 1950er bis heute entwickelt hat.

1953 fand die vielbeachtete Ausstellung ‚Das Neue Schulhaus‘ im Kunstgewerbemuseum Zürich (heute Museum für Gestaltung) statt. Aus diesem Anlass trafen sich Ärzt/-innen, Pädagog/-innen und Architekt/-innen zum Fünften Internationalen Kongress für Schulbaufragen und Freilufterziehung in Zürich. Die Veranstalterin des Kongresses, der unbekannte französische Verein „Ligue pour l’éducation en plein air“, propagierte die Idee der Freiluftschule, um Kinder vor Tuberkulose zu schützen.

Freiluftschulen waren kaum verbreitet, aber die Forderung nach Licht und Luft hatte einen prägenden Einfluss auf den neuen Schulbau. Im Gegensatz zu den sogenannten „Schulpalästen“ waren diese Freiluft- oder Pavillonschulen eingeschossig, die Fassaden verglast und mit direktem Zugang nach draußen oder auf die Terrasse. Sie kamen ab 1920 auf und strebten eine Verbindung zwischen Schulzimmer und Außenraum beziehungsweise Natur an. Jedoch war der Außenraum primär dem Lernen untergeordnet und funktionierte als Freiluft-Klassenzimmer.

Spielplatz, Pausenhof und Spiellandschaft

Die Ausstellung und Konferenz von 1953 widmeten sich neben den Kernthemen auch dem Thema Spielplatz. Der Kongress brachte interessierte Persönlichkeiten zusammen, es formte sich ein Kreis um Zürcher Personen, die sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten für Spielplätze in Zürich und der Schweiz stark machten und sich auch über die Landesgrenzen vernetzten. Jedoch zielten ihre Bemühungen fast ausschließlich auf Spielplätze im Wohnumfeld, der „Pausenhof“ interessierte sie kaum, denn in der Schweiz gingen die Kinder zum Mittagessen nach Hause und verbrachten auch die freien Nachmittag dort. Der Pausenhof wurde nur für in der „großen Pause“ genutzt, und war daher nicht mehr als ein Asphaltplatz mit einer Kletterstange. Eine Ausnahme bildeten die Spiellandschaften, die Künstler wie Michael Grossert und Bernard Schorderet und Landschaftsarchitekten, wie Ernst Baumann und Willi Neukom zwischen 1958-1972 gestalteten.

Schulhaus im Eich/ „Eichbühl“, Hombrechtikon, 1964. Ernst Baumann Landschaftsarchitekt.

Heute setzen sich wie überall in Europa auch in der Schweiz Tagesschulen durch. Kinder verbringen die Mittagspause in der Schule und besuchen in der freien Zeit den Hort. Bildungsreformen mit neuen Lehrplänen brauchen neue Schulhäuser, die neue Lern- und Unterrichtsformen ermöglichen:  individuelles Lernen oder Projektarbeit in Gruppen, interdisziplinäres oder altersdurchmischtes Lernen. Wichtig sind auch Begegnungs- und Bewegungsräume, um eine anregende, offene, aber doch geschützte Lernumgebung zu schaffen. Unbetreutes Spielen und Austoben als Ergänzung zum Lernen scheinen jedoch kaum ein Thema zu sein. Außenräume sind zwar ästhetisch ansprechend gestaltet, bieten Sitzgelegenheiten im Schatten, Hartplätze für Ballspiele und ausgesuchte Bepflanzung. Die „Schule der Zukunft“ kümmert sich jedoch nur am Rande um die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in der Pause und Freizeit.

Schulhof der Zukunft – Primarschule Krämeracker in Uster (Schweiz)

Dass auch der Schulhof eine wichtige Rolle in der „Schule der Zukunft“ spielen muss und kann, zeigt der Schul-Spielplatz von Ganz Landschaftsarchitekten (Spielgeräte von Motorsänger) in Uster nahe Zürich, von 2019. Boltshauser Architekten und Ganz Landschaftsarchitekten gewannen 2014 einen Wettbewerb für den Neubau der Primarschule Krämeracker (in Ergänzung zu einer bestehenden Sekundarschule).

Primarschule Krämeracker, Uster (Schweiz), 2019. Ganz Landschaftsarchitekten, Motorsänger Spielplatzbau.

Das Projekt erhielt die Auszeichnung „Goldener Hase“ 2019 in der Rubrik Landschaftsarchitektur der Zeitschrift Hochparterre. Der Jurybericht umschreibt es wie folgt:

»Die Gestaltung der Außenräume des Primarschulhauses Krämeracker in Uster gibt eine mutige und unkonventionelle Antwort auf eine konventionelle, aber gesellschaftlich relevante Frage: Wie kann und soll heute eine kinderfreundliche Schulhausumgebung aussehen? Ganz Landschaftsarchitekten schaffen es, viele Themen auf wenig Raum unterzubringen, ohne dass räumliche Enge oder didaktischer Druck entsteht. (…) So wird der Schulhausplatz schon fast zur Landschaft. Gestaltung, Materialvielfalt, Gärtnerhandwerk, Artenreichtum und Sinnlichkeit sind liebe- und lustvoll vereint.«

Als ich den Platz zusammen mit Urs Wiskemann von Motorsänger besuche regnet es in Strömen und die Zehnuhr-Pause ist noch in vollem Gang. Eine wilde Schar von Kindern der Primarschule Krämeracker tobt sich auf dem hügeligen Spielplatz aus: sie rennen, spielen auf den Geräten und stehen in Gruppen. Der Platz ist mit natürlichen Elementen und losem Material gestaltet. Das erstaunt, denn bis anhin war loses Material wie Sand, Kies und Steine auf den Schulhof Tabu, aus Angst, dass Schmutz in das Schulhaus gerät. Eine Lehrerin der Schule beklagt zwar, dass Steine gegen die Fenster geworfen wurden, ein Mitarbeiter des Abwarts kann jedoch nichts Negatives über den Platz sagen.

Primarschule Krämeracker, Uster (Schweiz), 2019. Ganz Landschaftsarchitekten, Motorsänger Spielplatzbau.

Eine zweite Lehrerin hatte Vorbehalte zur Gestaltung, denn der Platz wirkte anfangs wie eine Mondlandschaft. Heute beobachtet sie, dass er von den Kindern, besonders auch den älteren, gut angenommen wurde. Der Einsatz von losem Material zeigt jedoch auch problematische Seiten: einerseits die Möglichkeit, Steine als Wurfgeschosse zu missbrauchen, aber auch, dass große Steine plötzlich im Fallraum von Spielgeräten liegen. Statt auf weichen Kies zu fallen, könnte der Kopf auf einen Stein aufschlagen. Der Spielplatz wurde vor der Übergabe von einem Sicherheitsprüfer gecheckt, der Abwart oder die Gemeinde überprüft Spielplätze regelmäßig und die Gerätebauer sind ebenfalls für Kontrollen zuständig.

Die Natur gestaltet mit

Die Büsche und Bäume brauchen eine Weile, bis sie als Gestaltungselemente Wirkung entfachen. Ein geplanter Weiher scheint sich nicht zu füllen. Es zeigt sich, dass das Arbeiten mit natürlichen Elementen weniger planbar ist, der Idealzustand ist bei Projektvollendung noch nicht erreicht. Bereits sind erste Spuren der Benutzung sichtbar: Steinmaterial rutscht von den Hügeln ab und staut sich unten an. Pflanzen werden dort wachsen, wo der Nutzungsdruck weniger stark ist. Dadurch ist die Landschaft dynamisch und wäre auch als schulischer Anschauungsort geeignet. Die Lehrkräfte würden den Pausenplatz aber kaum in ihren Unterricht einbeziehen, oder eine Lektion nach draußen verlegen.

Primarschule Krämeracker, Uster (Schweiz), 2019. Ganz Landschaftsarchitekten, Motorsänger Spielplatzbau.

Die natürliche Spiellandschaft ist durch verschiedene Spielgeräte erweitert: Riesenmikados aus eckigen Eichenhölzern, Wabbelhölzer, Schaukel und Rutschbahn fügen sich in die Landschaft ein. Der Spielplatz bietet kleinen und größeren Kindern etwas, die Hügel regen zum Rennen an. Durch das vielfältige Angebot können viele Kinder gleichzeitig aktiv sein. Dies ist eine Hauptanforderung an Pausenplätze: in kurzer Zeit sind etwa 230 Schüler/-innen von 14 Primarschulklassen draußen, nach 30 Minuten sind alle weg.

Der Pausenhof vereinigt mühelos alle Ansprüche an das offene Schulhaus: er ist nicht abgezäunt, er passt sich Bedürfnissen an, verändert sich im Laufe der Jahreszeiten, bringt Kinder unterschiedlichen Alters zusammen, erlaubt das ruhige Absondern in kleinen Gruppen und gleichzeitig das ausgelassene Herumtoben. Dadurch funktioniert er als Ausgleich zum durchstrukturierten Lernalltag von Kindern – ein Stück Freiheit, das essentiell ist.

Die Ausstellung THE PLAYGROUND PROJECT – Architektur für Kinder ist noch bis zum 21. Juni 2020 im DAM – Deutsches Architektur Museum in Frankfurt am Main zu sehen. Die Webseite des DAM bietet außerdem einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung: https://dam-online.de/veranstaltung/the-playground-project/

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Autor:innen

Gabriela Burkhalter

Gabriela Burkhalter ist Politologin und Raumplanerin. Seit 2006 erforscht sie die Geschichte des modernen Kinderspielplatzes und macht sie unter www.architekturfuerkinder.ch zugänglich. Sie ist die Kuratorin von THE PLAYGROUND PROJECT, einer Wanderausstellung, die zugleich ein Spielplatz ist.