06. April 2018; Von: Franziska Spelleken

Die aktuelle Bildungsdebatte fordert einen ganzheitlichen Blick auf Bildungseinrichtungen

Umbau, Erweiterungs- und Neubau von Schulgebäuden ist gegenwärtig eine der wichtigsten öffentlichen Bauaufgaben. Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Medienberichterstattung und eine Veranstaltung in Köln.

Wie sehen die Schulen von morgen aus, diese Frage stellen sich längst nicht mehr nur Exper/tinnen und Fachmedien. Die „große Bildungsdebatte“ wird derzeit wieder verstärkt geführt. So schrieb Die Zeit am 15. Februar 2018 im Beilagenspezial zur Bildungsmesse Didacta: „Dass die Qualität von Bildung auch von der Wirkung des Raumes abhängt, gilt inzwischen als unbestritten“ [1]. Für neue Anforderungen durch Ganztagsunterricht und Inklusion seien aber die meisten Schulgebäude noch nicht gerüstet.  Das KAP Forum griff das Thema auf und lud am 20. März ins Museum für Angewandte Kunst Köln MAKK zum Abend über „Architektur und Bildung“.

Veranstaltung des KAP-Forums Architektur& Bildung in Köln

Von aktuellen Schulum- und Neubau Projekten berichteten die sechs eingeladenen Experten aus beiden Disziplinen: Andreas Niessen, Schulleiter des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Pulheim, Johannes Talhof, von Hess Talhoff Kusmierz Architekten und Stadtplaner BDA, Professor Gernot Schulz, Dekan des Fachbereichs Architektur an der Hochschule Bochum, Johannes Schilling, Professor für Architektur an der Münster School of Architecture und Dr. Peter Rösner, Leiter der Stiftung Louisenlund.

Andreas Niessen, langjähriger Schulleiter des Geschwister-Scholl-Gymnasiums, gab Einblicke in den Schulalltag und die Hindernisse auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem. Als inklusives Gymnasium war das Bestandsgebäude in Pulheim schon vor Jahren räumlich an seine Grenzen gestoßen. Die Stadt Pulheim hatte die Phase Null an der Schule unterstützt. Für den Umbau nach den Ideen und Anregungen der beauftragten Machbarkeitsstudie zu Sanierung und Erweiterung des Schulzentrums konnten laut Aussagen der Stadt aber keine Mittel aufgebracht werden. Als neuer Schulleiter der Gesamtschule/Sekundarstufe der „Heliosschule – Inklusive Universitätsschule der Stadt Köln“ wird Andreas Niessen voraussichtlich ab 2022 seine Schule unter ganz andere räumliche Voraussetzungen leiten. Dann nämlich soll die Heliosschule, geplant vom Architekturbüro Schilling und an diesem Abend vorgestellt von Professor Johannes Schilling, auf dem Helios-Gelände in Köln Ehrenfeld fertiggestellt sein.  Niessens Credo: Eine gute Schularchitektur macht noch keine „gute Schule“. Sowohl pädagogische Haltungen wie z.B. das Arbeiten in multiprofessionellen Teams sowie hinreichende personelle Ressourcen und angemessene Flächen und Räume seien dafür notwendig [2].

Wechselwirkung zwischen Architektur und Bildung

Dass die Anforderungen steigen, die die Umstellung auf ein inklusives Bildungssystem stellt, zeigen aktuelle Zahlen – im Schuljahr 2016/2017 besuchten nach Angaben der Kultusministerkonferenz 42,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler im Primarbereich und in der Sekundarstufe I bundesweit eine Ganztagsschule [3]. Laut Pressemitteilung des Schulministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen (13.03.2018) zum „Statistik-Telegramm 2017/18“ seien die Zahlen im laufenden Schuljahr allein in NRW um rund 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – konkret sind hier aktuell insgesamt 295.824 Schüler/innen im offenen Ganztag [4].

Ab 2025 soll der von der Großen Koalition beschlossene Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder gelten. Und doch rangiert die dringend benötigte Sanierungsoffensive im von der neuen Bundesregierung beschlossenen Bildungspaket auf der Prioritätenliste weit unten, wie Ursula Barth in der Zeit (15.2.2018) moniert. Dabei bieten die anstehenden Baumaßnahmen Schulen die große Chance, das eigene pädagogische Profil weiterzuentwickeln. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (31.03.2018) fordert Barbara Pampe, Projektbereichsleitung Pädagogische Architektur bei der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Ziel müsse es sein, Flächen intelligenter zu nutzen. „Wir müssen Schule neu denken“ sagt die Architektin [5]. Die Planung anhand klassischer Raumlisten, die Formate im Sinne einer Formel „Klassenraum = Klasse = Fach = eine Lehrkraft“ vorsähen, müssten sich räumlich und pädagogisch erweitern.
„Eine Schule, die offen für die pädagogischen Veränderungen der Zukunft ist, braucht transparente, offene Räume, die eine große Nutzungsvielfalt ermöglichen.“ so Pampe [6]. Denn vor dem Hintergrund ganztägiger Bildung heißt Schule jetzt nicht mehr nur Lernen, sondern – in deutlich größerem Umfang als bisher – auch Bewegen, Spielen, Toben, Verweilen, Reden, Essen, Ausruhen und vieles mehr. So kann Schule zum Lebens- und Lernort für alle Schülerinnen und Schüler werden.

Inklusive Schulen planen und bauen

Auch Pädagogin Andrea Rokuß und Architektin Raphaella Burhenne de Cayres, Gernot Schulz Architekten, fordern flexible Raumangebote, die Gruppen- und Projektarbeit ermöglichen und auf eine Veränderung des Schulalltags eingehen [7]. Das Schulbauberatungs-Team absolvierte 2015/16 die von der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft durchgeführte Weiterbildung Schulbauberatung und begleitete im Anschluss in dem Projekt der Stiftung „Inklusive Schulen planen und bauen“ die Phase Null an der Carlo-Mierendorff-Schule in Griesheim.

In Wuppertal gehört die Phase Null, also die Entwicklung eines tragfähigen inhaltlichen und räumlichen Konzeptes unter Berücksichtigung aller Akteur/innen bereits fest zu den Planungsvorgaben im Schulbau. Im Rahmen der Pilotprojekte „Schulen planen und bauen“ (2013-2015) hatte die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft die Stadt durch eine finanzierte Phase Null am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal-Elberfeld unterstützt. Das Pilotprojekt mit der Stiftung war die Initialzündung. Seitdem sind sechs Schulbauprojekte unter den neuen Planungsvorgaben realisiert worden. Laut Thomas Lehn von der Gebäudewirtschaft der Stadt Wuppertal ist die Zufriedenheit aller Beteiligten dadurch gestiegen: „Wir werden künftig jede große Sanierungs- und Neubaumaßnahme mit einer Phase Null planen“ [8].

[1] Ursula Barth, Didacta; in: DIDACTA – Ein Spezial des Zeitverlags (Die Zeit, 15.02.2018)

[2] Statement von Andreas Niessen zum nachlesen auf der Webseite des KAP Forum:
https://www.kap-forum.de/andreas-niessen/

[3] Kultusministerkonferenz, Allgemeinbildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland – Statistik 2012 bis 2016 (21. März 2018):
https://www.ganztagsschulen.org/de/26435.php

[4] Ministerium für Schule und Bildung Nordrhein-Westfalen (13.03.2018):
https://www.schulministerium.nrw.de/Pressemitteilungen/2018

[5] Simone Gröneweg: Pädagogische Architektur – Wir müssen Flächen intelligenter nutzen; in: Süddeutsche Zeitung (31.03.2018):
http://www.sueddeutsche.de/geld/paedagogische-architektur-wir-muessen-flaechen-intelligenter-nutzen-1.3924537

[6] Die Zeit, 15.02.2018

[7] Simone Gröneweg: Bildungsbau – Schüler bauen mit; in: Süddeutsche Zeitung (31.03.2018):
http://www.sueddeutsche.de/geld/bildungsbau-schueler-bauen-mit-1.3924535

[8] ebd.