Unter dem Thema „Wissen | schafft | Stadt“ ist die IBA Heidelberg angetreten, um die räumlichen und prozessualen Innovationspotenziale der aktuellen Diskurse zur Wissensgesellschaft auf ihre städtebaulichen und architektonischen Implikationen zu untersuchen und bis 2022 beispielhaft umzusetzen. Dazu gehört auch die Erprobung außergewöhnlicher Vergabeverfahren, die der Koproduktion von Stadt mehr Raum geben können.
Dialogischer Wettbewerb
Im Schulbau tritt ein Dilemma der Baukultur besonders deutlich zu Tage. Ein Wettbewerb der Ideen bringt den Bauherren zwar eine Auswahl von anspruchsvollen Lösungen. Doch die Anonymität klassischer Verfahren verhindert den für den zukünftigen Schulalltag wichtigen Dialog mit den Nutzern [1]. Die Planungsphase Null hat viel erreicht, um das Raumprogramm für konkurrierende Verfahren nicht allein von ökonomischen Zwängen und schematischen Vorgaben abhängig zu machen. Dennoch bleiben mit der Trennung von Schulbauberatung und Architekturleistungen die eingereichten Planzeichnungen und Visualisierungen entscheidend bei der Jurierung im Wettbewerb. Hier kommt es immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen der Fach- und Sachpreisrichter. Auch das Vergabegespräch ist keine Garantie dafür, ob der Gewinner mit der Bauherrenschaft in Zukunft gut zusammenarbeiten kann.
Mit dieser Einschätzung erarbeiteten die wettbewerbserfahrene Evangelische Schulstiftung Baden, die Schulleitung des Heidelberger Elisabeth von Thadden Gymnasiums zusammen mit der IBA Heidelberg ein experimentelles Vergabeverfahren. Dieses verbindet konkurrierende (harte) und kommunikative (weiche) Kriterien miteinander. Wertvolle beratende Unterstützung kam in der Genese des Verfahrens vom Mitglied des IBA-Kuratoriums Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Carl Richard Montag Förderstiftung.
Elisabeth von Thadden Gymnasium, Heidelberg
Die Thadden-Schule verfolgt seit einigen Jahren einen behutsamen Wandel der pädagogischen Praxis, indem sie mit der vierzügigen Mittelstufe andere Lernformen erprobt. Im Zuge eines Sporthallenneubaus mit Aufbauten soll den 8. und 9. Klassen eine adäquate (Cluster-) Raumlösung angeboten werden. Der Planungsprozess soll auf unterschiedlichen Ebenen der Partizipation begleitet werden. So wurden bereits schulinterne Diskussionen von Raimund Patt moderiert. In Zukunft wird sich wohl auch Kirstin Bartels, Cityförster, die in Arbeitsgemeinschaft mit bof Architekten (beide Hamburg) das Workshop-Verfahren im Oktober 2017 für sich entscheiden konnten, dieser Aufgabe stellen.
Auch wenn eine direkte Übertragbarkeit auf öffentliche Bauherren nicht gegeben zu sein scheint, kann der im Folgenden beschriebene Workshop vom 13.-14. Oktober 2017 Ansätze liefern, um zukünftig kreative und kommunikative Komponenten in Vergabeverfahren zu integrieren.
Der Workshop
Zunächst wurde eine Liste von 22 potentiellen, im Schulbau erfahrene Büros unterschiedlicher Provenienz zusammengetragen und nach der Sichtung von Referenzen sowie weiterer Kriterien von der Bauherrin, der Schulleitung und der IBA in eine „Short-List“ von neun Büros überführt. Diese wurden angefragt, ob sie sich gegen eine angemessene Honorierung an einem zweitätigen Workshop beteiligen würden, an dessen Ende das zu beauftragende Büro feststehen sollte. Die eingeladenen sechs Büros stellten ein ausgewogenes Teilnehmerfeld aus lokalen, überregionalen und internationalen Büros dar [2].
Tag 1: Konzeptentwicklung und Dialog
Die Büros erhielten im Voraus eine grobe Beschreibung der Bauaufgabe, die durch das pädagogische Konzept der Schule und die ausführlichen Konzeptergebnisse einer ersten Planungsphase Null ergänzt wurde. Diese Bausteine bildeten die Grundlage der Begrüßung und des Inputs am Morgen des ersten Tages. Im Plenum wurde auch die Bauaufgabe ausführlich erläutert und die zur Verfügung gestellten Planungsunterlagen gesichtet und diskutiert. Nach einem ausgiebigen Rundgang durch die belebte Schule, über den historischen grünen Campus und zum herausfordernden Bauplatz wurden erneut im Plenum Rückfragen besprochen. Nach einem gemeinsamen Mittagessen, arbeiteten die Büros separat an ihrer Konzeptentwicklung und Stehgreifentwürfen, sodass diese einzeln mit den Vertretern der Jury diskutiert werden konnten. Die in den folgenden 24 Stunden gestellten Rückfragen wurden schriftlich beantwortet und anschließend allen Teilnehmenden zu Verfügung gestellt. Je nach Arbeitsweise der Büros wurde der frühe Nachmittag genutzt, um mit Schülern oder Lehrern spontan ins Gespräch zu kommen sowie den räumlichen Kontext der Aufgabe weitergehend zu analysieren. Ein Großteil der Jury besuchte dann am Abend gemeinsam die Büros in ihren Arbeitsräumen, um deren Arbeitsweise kennenzulernen und erste Arbeitsansätze offen zu diskutieren.
Tag 2: Präsentation und Auswertung
Am Vormittag des zweiten Tages standen jeweils ein pädagogischer und ein Architekturvertreter der Jury für weitere Rückfragen zur Verfügung. In gleicher Reihenfolge wie die Arbeitsbesuche der Jury am Vortag begannen am frühen Nachmittag die Präsentationen der Workshop-Ergebnisse vor der Jury [3].
Am späten Abend des 14. Oktobers kam die Jury dann zum bereits erwähnten einstimmigen Beschluss. Grundlage hierfür waren drei Bewertungskategorien: die vorgeschlagene Umsetzung der pädagogischen und Nutzerbedarfe, die skizzierte städtebauliche und architektonische Lösung sowie die praktizierte und präsentierte Arbeitsweise. Die Kombination aus kommunikativem und entwurfstechnischen Verfahren fand sich somit auch in den Entscheidungskriterien wieder. Auch wenn zeitliche Aspekte den Dialoganteil beschränkten und er „nur“ bilateral zwischen Jury und Büro stattfand, wurde das Verfahren seitens der Ausloberin, der Schule, der IBA und der Architekten als spannendes und erfolgreiches Experiment bewertet. Die Übertragbarkeit in öffentliche Vergabeprozesse ist zu untersuchen, denn ein formalisiertes Bewerbungsverfahren, mit dialogisch ausgerichtetem Rückfragekolloquium und getrenntem Bearbeitungsort und -zeitraum scheint nach diesem Experiment denkbar. Insbesondere der Verschränkung von Lektionen der Arbeit an pädagogischer Architektur (interdisziplinäre Kommunikation) und dem Wettbewerbswesen (Ideenkonkurrenz) sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Raum als dritter Pädagoge könnte so vor Ort strukturell, pädagogisch und planerisch anspruchsvoller etabliert werden. Denn: Baukultur fußt auf dem Austarieren harter und weicher Parameter.
[1] Für eine bessere Lesbarkeit wurde auf geschlechterneutrale Formulierungen verzichtet.
[2] AAg LoebnerSchäferWeber, Heidelberg; Kirstin Bartels, Cityförster mit bof Architekten, Hamburg; feld72 Architektur, Wien; Hausmann Architekten, Aachen; Marlies Rohmer Architects, Amsterdam (Teilnahme kurzfristig abgesagt); Wulf Architekten, Stuttgart.
[3] Ev. Schulstiftung Baden: Friederike Heidland (Geschäftsführerin) und Prof. Dr. Christoph Schneider-Harpprecht (Vorstand); Thadden-Gymnasium: Peter Dommermuth (Verwaltungsleiter), Dr. Heinz-Martin Döpp (Schulleiter) und Dr. Andreas Werner (Vorsitzender Schulausschuss); IBA Heidelberg: Dr. Karl-Heinz Imhäuser (Kuratoriumsmitglied) und Carl Zillich (Kuratorischer Leiter); Stadt Heidelberg: Harald Danisch (Stellv. Leiter Baurechtsamt) und Erster Bürgermeister Jürgen Odszuck, (Baudezernent); Juryvorsitzende: Dea Ecker (freie Architektin).
Carl Zillich im Gespräch:
www.schulen-planen-und-bauen.de/phase-null-der-film-zu-gast-bei-der-iba-heidelberg