18. Juli 2017; Von: Walter Heilmann , Florence Verspay

Pilotprojekte Inklusive Schulen planen und bauen: Gemeinschaftsschule Weimar

Lässt sich ein DDR-Plattenbau so umbauen, dass er den Anforderungen eines differenzierten, komplexen, inklusiven Schulprofils gewachsen ist? Die Phase Null in Weimar stellte sich dieser Aufgabe.

Die Staatliche Gemeinschaftsschule Weimar ist eine noch im Aufbau befindliche Primar- und Sekundarstufen-Schule, bislang mit den Jahrgängen eins bis zehn. Eine eigene Oberstufe, die in zwei oder drei Jahren durchlaufen werden kann, befindet sich gerade in der Vorbereitung. Die Schule arbeitet nach dem Jenaplan-Konzept Peter-Petersens, d.h. mit jahrgangsübergreifenden Klassen, die jeweils drei Schuljahre umfassen. Sie hat sich der Inklusion verpflichtet und ist damit grundsätzlich offen für Kinder aller möglichen Begabungsrichtungen und Unterstützungsbedarfe.
Der Auftrag war nun, ein vorhandenes Schulgebäude so zu sanieren, umzubauen oder gegebenenfalls durch einen Neubau zu ersetzen, dass er den besonderen Anforderungen dieses umfassenden Schulprofils gerecht werden kann.
In der Vorbereitung eines ersten Besuchs, anlässlich der Preisübergabe der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft an Vertreter/innen der Stadtverwaltung, fanden wir dann Bilder und Pläne eines Schul-Plattenbaus Typ Erfurt, Baujahr 1969, positioniert auf einem offensichtlich weiträumigen Gelände in Stadtrandlage.

Bestandsaufnahme

Schon bei der Übergabefeier, die bei strahlendem Sonnenschein vor dem Gebäude stattfand, in entspannter Atmosphäre, untermalt vom schuleigenen Orchester, konnten wir den Blick kaum vom Schulhaus abwenden: Es machte einen äußerst heruntergekommenen Eindruck, hatte marode Fenster, der Putz bröckelte, überall blätterte Farbe ab – hier war seit langem nichts mehr investiert worden. Ein erster Reflex war – Das kann man eigentlich nur abreißen! Der Eindruck bestätigte sich bei einer ersten kurzen Begehung des Gebäudes. Trotz erkennbarem Bemühen der Nutzer/innen, Räume und Flure ansprechend zu gestalten, blieb der Eindruck einer dringend nötigen Gesamtsanierung. Außer dem schlechten Allgemeinzustand fielen gleich Mängel auf, die im Grundriss des Plattenbaus begründet sind: Enge Flure, zu kleine Klassenräume, nicht zu öffnende Fenster, nicht annähernd barrierefreie Zugänge usw. Ganz im Gegensatz dazu das Außengelände: eine riesige Fläche, zoniert durch mehrere Geländestufen und abwechslungsreichen Bewuchs, ein Schulgarten mit Feuerstelle, viele grüne Nischen, die von Kindern und Jugendlichen in ganz unterschiedlicher Weise genutzt wurden, dazu ein freier Blick über das Tal der Ilm.

Phase Null

Bei der vorbereitenden Recherche ergab sich, das unsere »Phase Null« bereits einige Vorläufer gehabt hatte: in einem Projekt der Bauhaus-Uni unter dem Titel Kreativer Schulumbau planen mit Kindern hatten Studierende und die Kultur-Agenten für kreative Schulen zusammen mit den Schüler/innen erarbeitet, welche Wünsche und Ideen die Schulgemeinschaft hat. Die Ergebnisse wurden in einer umfangreichen Broschüre dokumentiert. Das Projekt fand seinen sichtbaren Ausdruck in dem Bau eines hölzernen Pavillons auf dem Schulhof, in dem alle weiteren Planungsprozesse stattfinden sollten.

Bereits beim Auftaktgespräch wurden wir überrascht von der spontanen Beteiligung einer Schüler/innengruppe, die anbot, Entwürfe für die Umgestaltung des Außengeländes zu erarbeiten. Hier wurde für uns zum ersten Mal die hohe Beteiligungskultur an dieser Schule erlebbar, die wir auch in allen weiteren Gesprächen mit Leitung, Mitarbeiter/innen, Eltern, Verwaltungs- und Institutionsvertreter/innen erfahren durften – eine (an anderen Schulen eher selten erlebte) ideale Voraussetzung für unsere Phase Null.  Damit überträgt die Schule ihre im Jenaplan-Schulprogramm verankerten Ziele in überzeugender Weise in die Praxis.

StadtLandSchule – IBA Thüringen

Neben der Schulgemeinschaft, der Bauhaus-Uni und der Stadtverwaltung waren noch weitere Mitakteur/innen zu berücksichtigen. Das Schulumbau/-neubauprojekt ist IBA- Kandidat des Landes Thüringen. Unter dem Titel StadtLandSchule – Umbau einer Typenschule in eine Schule der Zukunft soll ein beispielgebendes, übertragbares Konzept entwickelt werden, unter Berücksichtigung der Aspekte Inklusion, Pädagogik, Baukultur,  Energie, Ökonomie, Standards und Mobilität.
Als notwendig erwies sich auch der Kontakt zum Ortsteilrat von Oberweimar; bei möglicherweise erweiterten Nutzungsmöglichkeiten des Schulgebäudes und des Geländes für die Anwohner/innen waren deren Interessen (auch unter städtebaulichen Aspekten) zu berücksichtigen. Schließlich wurde die Phase Null in Weimar auch von Seiten der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft durch Beteiligung ihrer Vertreter/innen an Workshops, Lenkungsrunden und einer Exkursion begleitet und aktiv unterstützt.

Die Schulgemeinschaft hatte bereits eine Schulsanierung am zweiten Standort in Alt-Weimar erlebt – mit teilweise wenig zufriedenstellenden Ergebnissen. Umso erfreulicher war für uns die Motivation der Beteiligten, die alle mit verstärktem Engagement daran arbeiten wollen, dass sich diese Fehler nicht wiederholen. Wir als Schulbauberatungs-Team erlebten im laufenden Prozess immer wieder, dass es trotz – oder gerade wegen – der Komplexität der Erwartungen und der multiprofessionellen Zusammensetzung der Workshop- und Lenkungsgruppe nach intensiven inhaltlichen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichsten Fragestellungen immer wieder zu einvernehmlichen konstruktiven Ergebnissen kam.

Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass immer wieder neue Hindernisse auftraten, die den Prozess erschwerten oder verlangsamten: Die Schule verfügt neben dem Plattenbau in Oberweimar noch über ein bereits saniertes Schulgebäude in Alt-Weimar, das in naher Zukunft noch ergänzt wird  um ein weiteres freiwerdendes Schulhaus in unmittelbarer Nähe. Hier stellten sich auch neue Fragen zur Barrierefreiheit und der Bereitschaft der Verwaltung, in soeben aufwendig sanierten Gebäuden gegebenenfalls noch einmal nachzubessern. Da die Schule sich trotz zweier Standorte durchaus als EINE Schule versteht und einen regen Austausch sowie wechselseitige Nutzung durch die Schüler/innengruppen anstrebt, mussten wir die Raumpläne beider Schulgebäude in unsere Planung und Bearbeitung zusätzlich aufnehmen, um ein Gesamtkonzept entwickeln zu können.

Flächenprogramme

Über den ganzen Prozess wurden immer wieder die anzusetzenden Flächenprogramme verhandelt. Da die Gemeinschaftsschule (die mehrere herkömmliche Schulformen in sich vereinigt: Primarschule, Gesamtschule, Gymnasiale Oberstufe, Inklusionsschule) in Thüringen eine relativ junge Schulform ist, gibt es dafür noch keine festgelegten Schulbau-Programme. Also wurde eine Kombination aus den verschiedenen vorhandenen Flächenprogrammen zusammengestellt und gleichzeitig Schulbaurichtlinien anderer Bundesländer zum Vergleich herangezogen und mit dem ermittelten Bedarf abgeglichen. In der Frage der Kostenschätzung erwies sich eine Machbarkeitsstudie als notwendig, die auch mögliche Interimslösungen berücksichtigen soll – eine weitere Entscheidungshilfe für Verwaltung und Politik.

Aufgrund vieler offener und teilweise auch unerwarteter Probleme erwies sich  eine zusätzliche Lenkungsrunde als notwendig, in der die jeweils Verantwortlichen in verbindlicher Weise Stellung nahmen zu den Fragen, die wir zusammengestellt hatten. Das führte insgesamt zu zeitlichen Verzögerungen, aber immerhin konnten wir den gesamten Prozess dann endlich in einer für alle Beteiligten zufriedenstellenden Weise zum Abschluss bringen.

Im Auftrag der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft haben Walter Heilmann und Florence Verspay von Hausmann Architekten als Schulbauberatungs-Team das »Pilotprojekt Inklusive Schulen planen und bauen« an der Staatlichen Gemeinschaftsschule Weimar begleitet.

Autor:innen

Walter Heilmann

Walter Heilmann ist Pädagoge und ehemaliger Schulleiter der Rosenmaarschule in Köln.

Florence Verspay

Florence Verspay arbeitet bei Hausmann Architekten aus Aachen mit langjähriger Erfahrung im Bereich Schulbau.

Phase Null Abschlussbericht: Staatliche Gemeinschaftsschule Weimar

Abschlussbericht