27. September 2016; Von: Britta Grotkamp , Päivi Kataikko-Grigoleit

Pilotprojekte Inklusive Schulen planen und bauen: Auftakt der Phase Null in Gelsenkirchen

Mit Schulbegehungen, Interviews, Planungsgruppengesprächen und einem ersten ganztägigen Workshop hat die Phase Null an der Glückaufschule Ückendorf in Gelsenkirchen schnell Fahrt aufgenommen, denn – die Motivation vor Ort ist hoch.

Die Glückaufschule Ückendorf in Gelsenkirchen ist auf den ersten Blick eine Schule wie viele andere auch: ein altehrwürdiges Schulgebäude, das in erster Linie vom Charme vergangener Zeiten lebt, aber heute kaum noch zeitgemäße Lern- und Arbeitsbedingungen bietet. Der Modernisierungsbedarf ist unübersehbar und schon jetzt, ohne die geplante Zusammenlegung mit dem ca. 1 km entfernten Zweitstandort Parkstraße, ist das Gebäude an der Stephanstraße deutlich zu klein. Es fehlen Bereiche für die innere und äußere Differenzierung. Schulleitung und Schulsekretariat teilen sich einen kleinen Raum im ersten Obergeschoss und sind für Besucher/innen nur schwer auffindbar. Der Hausmeister arbeitet in einem fensterlosen Raum im Kellergeschoss, der Haupteingang befindet sich auf der rückwärtigen Seite des Gebäudes, unmittelbar neben den Toilettenanlagen. Barrierefreiheit ist an nahezu keiner Stelle gegeben. Das offene Treppenhaus im Zentrum des Gebäudes, das in vergangenen Zeiten sinnbildlich für so etwas wie Empfangskultur gestanden haben mag, steht heute eher für Hitze, Lärm und Hektik des Schulalltags. Im Grunde fehlen die räumlichen Voraussetzungen für eine leistungsfähige, inklusive Grundschule. Trotz dieser widrigen Bedingungen arbeiten Schulleitung und Personal mit großem Engagement, um den pädagogischen Auftrag der Schule in einem ohnehin anspruchsvollen sozialräumlichen Umfeld bestmöglich zu erfüllen.

Ganztägige Planungswerkstatt

Mit dem gleichen Engagement ist die Schule nun auch sehr schnell in die gemeinsame Phase Null zur Neukonzeption des Schulstandorts eingestiegen. Nach ersten Begehungen, Gesprächen und Interviews fand am 19. September die erste ganztägige Planungswerkstatt mit fast 40 Teilnehmenden statt. In Arbeitsgruppen diskutierten Lehrende, Mitarbeiter/innen der Offenen Ganztagsschule OGS, Eltern, Schulleitung und Mitarbeiter/innen der Verwaltung aus dem Bereich Schule, Hochbau und Stadtentwicklung über die künftige pädagogische Organisation der Schule. Im Fokus standen dabei mögliche Ganztagsmodelle, das künftige Schulprofil und die verschiedensten Qualitätsanforderungen an das neue Schulgebäude. Dabei haben sich bereits erste Denkrichtungen für die künftige Entwicklung der Glückaufschule identifizieren lassen, die für das neue Gebäude von Bedeutung sein werden. Die gegenwärtig strikte Trennung der Systeme „Schule“ und „OGS“ – vormittags Unterricht, nachmittags Betreuung – erschien den Teilnehmenden verbesserungswürdig. Sinnvoller könnte es sein, Unterricht, freie Zeiten und freie Angebote zeitlich und räumlich stärker miteinander zu verzahnen. Zumal die singuläre Nutzung von Unterrichtsräumen, die nur vormittags belegt sind, und Betreuungsräumen, die erst ab mittags gebraucht werden, bei einem begrenzten Raumangebot nicht besonders effizient ist. Eine Veränderung der gegenwärtigen Praxis würde jedoch nicht auf „mehr Unterricht“ zielen, sondern in erster Linie auf „mehr Zeit“ mit den Kindern und für die Kinder: Zeit, die von den Kindern für freies Spielen in Gruppen und für längere, effektivere Pausen genutzt werden kann; mehr Zeit aber auch für das pädagogische Personal, um Kinder etwa beim Spracherwerb besser unterstützen zu können.

Überlegungen zum Schulprofil

In den Gesprächen zur Neu-Bildung des Schulprofils wurde mehrfach die große Heterogenität des Stadtteils thematisiert. In Ückendorf existieren zweifelsohne Bereiche mit Armutsproblemen, daher hat der Stadtteil auch eine langjährige Tradition in punkto Stigmatisierung und schlechtes Image. Es wäre jedoch verfehlt, den gesamten Stadtteil als sozial benachteiligt oder unisono als „sozialen Brennpunkt“ zu bewerten. Das gilt in ähnlicher Weise für die Einzugsbereiche der derzeitigen Schulstandorte. Die Glückaufschule ist mit ihren beiden Standorten schon jetzt eine Schule des vielfältigen sozialen und kulturellen Miteinanders. Mit der räumlichen Zusammenlegung wird sich dies weiter verstärken; zu berücksichtigen sind daher ausreichend bemessene Bereiche – und Gelegenheiten – für noch mehr Gemeinschaftlichkeit im Schulalltag.

Industriewaldschule?

Der nahe gelegene Industriewald spielt für das Schulleben eine wichtige Rolle. Er verweist nicht nur, wie bereits der Name der Schule, auf die vom Bergbau geprägte Geschichte Ückendorfs, sondern hat sich mit der dort entstandenen Forststation zu einem wichtigen außerschulischen Lernort entwickelt. Manche Klassen nutzen den Wald sogar für den Sportunterricht, weil er schnell zu erreichen ist und Sport und Bewegung im Wald um einiges interessanter und abwechslungsreicher sein können als das Sprint- und Wurftraining auf einem Sportplatz. Ob die Schule nun, wie in der Werkstatt diskutiert, explizit das Profil einer Waldschule entwickelt oder nicht: Die Schule möchte den Industriewald Rheinelbe künftig noch intensiver in den pädagogischen Alltag einbeziehen. Daraus werden sich entsprechende räumliche Anforderungen ergeben, zum Beispiel die Bereitstellung einer Hütte bzw. eines Bauwagens im Wald oder die Einrichtung eines Fachraums „Industriewald“ im künftigen Schulgebäude.

Nächste Schritte

Die nächsten Workshops finden bereits in der ersten Oktoberwoche statt. Alle Schüler/innen der 4. Klassen werden an zwei Tagen zu ausgewählten Aspekten des künftigen Gebäudes arbeiten. Darüber hinaus sind Akteur/innen aus dem Stadtteil eingeladen, gemeinsam Ideen und Vorstellungen über die Rolle des künftigen Gebäudes im Stadtteil zu entwickeln.

Britta Grotkamp ist freie Pädagogin und Mitglied im Verein JAS – Jugend Architektur Stadt e. V. Päivi Kataikko-Grigoleit ist Architektin und Vorsitzende von JAS – Jugend Architektur Stadt e. V. Gemeinsam mit Dirk E. Haas führt sie das Planungsbüro REFLEX architects_urbanists, das sich bevorzugt mit Aufgaben und Projekten an der Schnittstelle von Bildung, Architektur und Stadtplanung befasst. Britta Grotkamp und Päivi Kataikko-Grigoleit begleiten als Schulbauberaterinnen-Team im Auftrag der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft das „Pilotprojekt Inklusive Schulen planen und bauen“ an der Glückaufschule in Gelsenkirchen.

Foto: Glückaufschule Gelsenkirchen, Hofansicht. REFLEX / Dirk E. Haas

Autor:innen

Britta Grotkamp

Britta Grotkamp ist freie Pädagogin und Mitglied im Verein JAS – Jugend Architektur Stadt e. V. Päivi Kataikko-Grigoleit ist Architektin und Vorsitzende von JAS – Jugend Architektur Stadt e. V. Gemeinsam mit Dirk E. Haas führt sie das Planungsbüro REFLEX architects_urbanists, das sich bevorzugt mit Aufgaben und Projekten an der Schnittstelle von Bildung, Architektur und Stadtplanung befasst. Britta Grotkamp und Päivi Kataikko-Grigoleit begleiten als Schulbauberaterinnen-Team im Auftrag der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft das „Pilotprojekt Inklusive Schulen planen und bauen“ an der Glückaufschule in Gelsenkirchen.

Päivi Kataikko-Grigoleit

Päivi Kataikko-Grigoleit begleit als Schulbauberaterin im Auftrag der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft das „Pilotprojekt Inklusive Schulen planen und bauen“ an der Glückaufschule in Gelsenkirchen.