17. November 2020; Von: Urs Walter

Gute Luft auch ohne Technik?

Aktuell mehren sich die Vorschläge, wie Luftqualität in Schulen durch Lüftungstechnik verbessert und Virenbelastung verringert werden kann. Dabei hängt die Luftqualität auch unmittelbar mit dem raumpädagogischen Konzept zusammen.

Große Gruppen von Kindern den gesamten Tag hinweg in geschlossenen Räumen zu unterrichten, ist nicht nur pädagogisch veraltet, sondern auch Ursache für schlechte Luft an Schulen. Offene Raumkonzepte dagegen betrachten größere Bereiche als Lernraum; dadurch steht – ganz nebenbei – pro Person ein wesentlich größeres Luftvolumen zu Verfügung.

Bessere Luft durch Raumluftfilter?[1]

Schon aus Gründen der CO2-Belastung ist in Schulräumen ein mehrfacher Luftwechsel pro Stunde notwendig. Aerosolpartikel aus der Raumluft herauszufiltern, minimiert zwar die Virenlast, nicht aber die CO2-Last[2]. Grundsätzlich geht es also darum – und das fordert auch die Arbeitsstättenrichtlinie –, einen Luftaustausch durch Zufuhr von Frischluft in Schulräumen sicherzustellen. Diese notwendige Luftwechselrate ist in den konventionellen abgeschlossenen Klassenräumen mit einseitiger Lüftungsmöglichkeit oft nicht herzustellen. Die Lüftungsquerschnitte der Fenster reichen bei einseitiger Belüftung in der Regel schon rein rechnerisch kaum aus, um die nötigen Mindestluftwechselraten sicherzustellen – es fehlt die Möglichkeit, quer zu lüften. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Praxis aus Gründen des Unfallschutzes Fensterflügel mit Öffnungsbegrenzern versehen werden, damit diese nicht in den Raum hineinragen. Im schlimmsten Fall werden die Flügel sogar abgeschlossen. Darin liegt eine Hauptursache für die schlechte Luft an Schulen!

Unser Fachwissen war schon einmal weiter

Schulbauwissen aus den 60er-Jahren[3] belegt, dass der Zusammenhang zwischen Raumgeometrie und Luftqualität vor der Verbreitung von lufttechnischen Anlagen noch ein integraler Bestandteil der Planung war. Während Klassenräume der Jahrhundertwende eine Raumhöhe von 4,50 m benötigten, um eine gute Luftversorgung bei einseitiger Belüftung sicherzustellen, konnten die damals neuen Schulbauten mit zweiseitiger Belichtung und Belüftung die benötigte Raumhöhe auf 3,20 m reduzieren und damit sogar Kosten sparen. Heute jedoch werden viele Schulen mit Klassenräumen einseitig belichtet und belüftet und obendrein aus wirtschaftlichen Gründen die Raumhöhe meist auf 3 m[4] begrenzt. Die Fassadengestaltung von Schulen aus den 60er-Jahren zeigt einen heute kaum mehr bekannten Variantenreichtum an Lüftungsflügeln – von schmal zu quer und Schwingflügeln, die dazu dienten, dass Fenster jederzeit und unfallfrei geöffnet werden konnten. Es sind Einsparungen in der Planung und die Nichtbeachtung alter und grundlegender Erkenntnisse, die unter anderem zu dem Problem von schlechter Luftqualität an Schulen geführt haben.

Und der Klimaschutz?

Wegen der hohen gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffizienz der Fassaden hat sich der Wärmeenergiebedarf an Schulen im Neubau immer weiter reduziert. Mittlerweile reicht die reine Anwesenheit der Schülerinnen und Schüler im Gebäude nahezu aus, den Heizbedarf bei Außentemperaturen bis in den Minusbereich zu kompensieren. Daher leisten Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung keinen nachvollziehbaren Beitrag zum Klimaschutz mehr. Darüber hinaus funktioniert die Wärmerückgewinnung nur, wenn die Fenster wirklich geschlossen gehalten werden. Fällt die Technik jedoch aus oder ist nicht richtig eingestellt, fehlt der Schule jede Möglichkeit, über die Fensterlüftung für gute Luft zu sorgen.[5]

Luftqualität und pädagogisches Raumkonzept

Offenere Raumkonzepte sind nicht nur pädagogisch vorteilhaft und notwendig, sie führen auch zu einer besseren Luftqualität durch eine andere Nutzung von Raum und Zeit:

  1. Offene Raumkonzepte lösen die Grenze zwischen konventionellen Klassenräumen und Flurbereichen auf. Dadurch steht – bei gleicher Gesamtfläche – pro Person ein wesentlich größeres Luftvolumen zur Verfügung. CO2 und auch Aerosolpartikel reichern sich langsamer in der Luft an. Dadurch werden insgesamt weniger Luftwechsel für die gleiche Luftqualität benötigt als in geschlossen Klassenzimmern.

  2. Durch vielfältige Lehr- und Lernformate entsteht – ganz nebenbei – in der Summe betrachtet eine größere räumliche Distanz. Lernsettings, bei denen alle Kinder einer Lerngruppe zusammenkommen, sind auf einzelne Situationen am Tag begrenzt.

  3. In offenen Raumkonzepten mit fließenden Raumübergängen von einer Fassade zur anderen entstehen mehr Möglichkeiten, quer zu lüften. Im Vergleich zum einseitigen Belüften kann eine natürliche Belüftung also mit einer kleineren Öffnungsfläche bzw. in kürzerer Zeit realisiert werden.

Neue Schulraumkonzepte dienen nicht nur dem Unterricht. Es geht darum, Kindern und Erwachsenen eine räumliche Umgebung von hoher und gezielt wohnlicher Aufenthaltsqualität zu bieten, die auch Rückzug und Kommunikation ermöglichen. Fenster, die sich wie im privaten Zuhause einfach öffnen lassen, tragen erheblich dazu bei, dass sich Menschen darin wohlfühlen – das ist mit Hinblick auf ganztägige Bildung unbedingt zu beachten![6]

Wir benötigen Investitionen in Schulbau und Schulentwicklung – nicht nur in Technik, die ein bereits veraltetes Schulsystem weiter zementiert. Neue Schulbautypologien, die pädagogische Anforderungen und Lüftungssysteme integrativ im Entwurf betrachten, sind daher nicht nur ein Gewinn für die Bildung, sondern eben auch für die Luftqualität in Schulen.

[1] Einige Artikel zum Thema:

https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/luftfilter-fuer-schulen-das-geschaeft-mit-den-virenkillern-a-882c706d-74ba-483c-9497-5dadae2ea77f

https://www.spiegel.de/panorama/bildung/schule-mit-corona-paedagogische-koenigsdisziplin-lueften-a-5db997c5-982a-4a09-b337-472704723250

[2] Die nachfolgend genannte Studie der Bundeswehruniversität München vergleicht die Wirksamkeit unterschiedlicher Lüftungskonzepte hinsichtlich Virenlast, schließt jedoch andere Schulraumkonzepte als die konventionelle Flurschule mit Frontalunterricht nicht mit ein: Kähler u.a., Schulunterricht während der Sars-Cov-2 Pandemie, 2010 (https://www.unibw.de/lrt7/schulbetrieb-waehrend-der-pandemie.pdf)

[3] Wilhelm Berger, Schulbau von Heute und Morgen, Göttingen, 1960, S. 25

[4] Siehe beispielsweise: Thüringer Schulbauempfehlungen

[5] Vergl.: Elisabeth Endres, Nachhaltigkeit im Schulbau: Wie wenig ist genug?, in: Sandra Hofmeister (Hg.), Schulbauten – Räume zum Lernen und für die Gemeinschaft, Edition Detail, 2020

[6] siehe dazu auch: Gerhard Matzig, Dicke Luft, in: Süddeutsche Zeitung, 2. November 2020

Grafik: Natürliche Belüftung und direkter Außenbezug – Entwurf für die Staatliche Gemeinschaftsschule Weimar  (Pilotprojekt SCHULBAU OPEN SOURCE in Kooperation mit IBA THüringen und der Stadt Weimar: Planungsbeteiligte: gernot schulz: architektur, Hausmann Architekten, Ingenieurbüro Hausladen, studio urbane landschaften und weitere)