Im Musikunterricht bei Herrn Finke bleibt die Tür offen. Denn der Musikraum hat keine Fenster, die Lüftung funktioniert nicht mehr. Eine Schule, in der man gerne lernt und lehrt braucht andere Räume. Transparente, offene Räume, die eine große Nutzungsvielfalt ermöglichen. Denn Lernen wird immer individueller, das muss sich auch in den Lernräumen abbilden. Das neue Schulzentrum Tannenbusch soll einmal anders aussehen, als der in die Jahre gekommene gemeinsame Gebäudekomplex von Tannenbusch-Gymnasium und Freiherr-von-Stein-Realschule. Es soll ein Lebensraum werden, Schülern/innen im rhythmisierten Ganztag ein Stück Zuhause bieten und sich dabei auch dem Stadtteil öffnen.
Noch weht in den Fluren und Klassenräumen der Wind der großen Schulbauwelle der 1970er Jahre: Neben all den damals neuen und auch in Tannenbusch gut gedachten räumlichen Lösungen gibt es auch verwinkelte, dunkle Ecken und breite Flure mit immer gleichen links und rechts abzweigenden Klassenräumen und Gebäudeflügeln, in denen die Orientierung schwer fällt. Ein besonderes Plus des alten Schulgebäudes ist die gemeinsame Aula in der Mitte – das große Zentrum, in dem sich die ganze Schulgemeinde versammeln kann. Raumkonzepte, die den komplexen Anforderungen einer vielfältigen Schülerschaft in einem von heterogener Zusammensetzung geprägten Stadtteil entsprechen – das wünschen sich die Akteur/innen der beiden Schulen. Die alte Flurschule kann da nicht mehr mithalten, darin sind sich die Pädagogen beider Schulen einig. Für neue Konzepte könnten im Schulzentrum Tannenbusch jetzt die Weichen gestellt werden.
Doch wie bekommt man nun alle Beteiligten ins Boot, um die Chance zu nutzen, die ein Neubau bietet? Wie können Verwaltung, Politik, Pädagog/innen und Architekt/innen gemeinsam ein modernes, zukunftsfähiges Konzept entwickeln, das zu den pädagogischen Bedarfen der beiden Schulen und dem Standort im Stadtteil passt? Die Voraussetzungen für einen qualitativen und nachhaltigen Bau werden bereits in der Vorplanung gestellt. So wird auch kein Krankenhaus ohne vorherigen Betriebsplan gebaut. Die Phase Null soll diese Vorplanung für den Schulbau etablieren. Ziel ist es, ein tragfähiges inhaltliches und räumliches Konzept zu formulieren, um am Ende ein effizientes, bedarfsgerechtes Schulgebäude zu erhalten. Wie eine solche Phase vor der eigentlichen Planungsphase aussehen kann, haben sich am Montagabend die Schulleiter und Lehrer/innen der beiden Schulen, Eltern und Schüler/innen angeschaut. Dazu haben sie nach Hamburg auf die Geschwister-Scholl-Stadtteilschule geblickt: »Phase Null – der Film« begleitet die Hamburger Schule bei dem Planungsprozess ihres neuen Stadtteils. Gemeinsam mit dem Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Karl-Heinz Imhäuser, überlegten die Anwesenden, wie auch in Tannenbusch noch an der optimalen Weichenstellung gearbeitet werden könnte.
Die Stadt Bonn hat bereits mit ersten Planungen begonnen, noch ohne die zukünftigen Nutzer/innen einzubeziehen. Die gute Nachricht für sie ist, dass das alte Gebäude vorübergehend stehen bleibt, da die Schulen auf einem unmittelbar angrenzenden Gelände errichtet werden können und beiden Schulen so der Umzug in eine Containerschule erspart bleibt. In eine Machbarkeitsstudie hat die Stadt Bonn bereits 250.000 Euro investiert. Wertvolles Geld, von dem auch eine partizipative Projektentwicklungsphase hätte profitieren können. Denn eine gute Phase Null mit belastbaren Ergebnissen ist die beste Voraussetzung für einen späteren leistungsfähigen Schulbau, der dann auch wieder Kosten einspart. Doch dabei wollen diejenigen mitreden, die das Gebäude nachher auch nutzen, die Schulleiter und Lehrer/innen der beiden Schulen, Eltern und Schüler/innen, das Jugendhaus „Brücke“ auf der anderen Straßenseite und weitere Bildungsinstitutionen im Stadtteil, die zukünftig in der Nutzung mit der Schule kooperieren könnten.
Karl-Heinz Imhäuser kennt nicht nur die Geschwister-Scholl-Stadtteilschule aus dem Film sehr gut. Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft hat schon viele Kommunen in der Phase Null in Schulumbau- und -neubau-Projekten begleitet. Imhäuser empfahl den anwesenden Akteur/innen der beiden Schulen eine qualifizierte Moderation des Projektentwicklungsprozesses durch ein externes Schulbauberaterteam. Das Duo aus einem Pädagogen und einem Architekten kann wichtige Anregungen für den Prozess geben. Imhäuser berichtete auch von verschiedenen anderen Projekten. Er verwies beispielsweise auf Projekte, die durch ihre Öffnung zum Stadtteil Fördergelder akquirieren konnten, wie beispielsweise über das städtebauliche Förderprogramm „Soziale Stadt“. Er ermutigte die Anwesenden, sich zu vernetzen und den Austausch mit anderen Schulbauprojekten zu suchen, um von deren Erfahrungen zu profitieren.
Bis in Tannenbusch die Bagger rollen und die beiden Schulen in den Neubau umziehen können, dauert es noch. Solange wird Herr Finke im Musikraum bei geöffneter Tür unterrichten müssen. Warum nicht alle Beteiligten an einen Tisch holen, die Schule, die Menschen und Institutionen aus dem Stadtteil, die Kommune und Architekten – die große Aula in der Mitte bietet dafür den Raum.
Raphaela Hensch berät und unterstützt die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft bei Fragen der Öffentlichkeitsarbeit. Als Mitarbeiterin der Denkwerkstatt der Montag Stiftungen ist sie für die Stiftungskommunikation sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe der Montag Stiftungen zuständig.
Foto: Eckhard Henkel; Quelle: Wikimedia Commons \ Creative Commons
Architekten: Dirk Denninger und Ernst Jann