03. März 2016; Von: Dr Karl-Heinz Imhäuser

Lehrerarbeitsplätze: Was auch Herr Dorgerloh nicht sagt

Ein internationaler Bildungskongress in Deutschland reflektiert über die Zukunft des Lehrerberufs – und spart doch wichtige Themen aus.

Vom 3. bis 4. März 2016 ist Deutschland Gastgeber des sechsten Internationalen Gipfels zum Lehrerberuf (International Summit on the Teaching Profession/ISTP) in Berlin.* Der ISTP bringt Vertreter/innen von Regierungen und Lehrerorganisationen ausgewählter Staaten und Regionen zusammen, deren Schulsysteme nach den jüngsten Ergebnissen der internationalen Schülerleistungsstudie der OECD (PISA) besonders leistungsfähig sind oder besonders rasche Fortschritte erzielt haben.

Ausgerichtet wird der ISTP 2016 von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Bildungsinternationale (Education International/EI).

Alles das ist lobenswert. Der Kongress, das Engagement der KMK, die Beteiligung wichtiger Repräsentant/innen auch der Gewerkschaften. Und die klare Botschaft der herausgehobenen Bedeutung, dass es auf die Lehrer/innen ankommt, wenn es insbesondere um die Bewältigung der vielbeschworenen Zukunftsaufgaben durch Bildung geht: die Integration von Flüchtlingen und überhaupt die anstehenden Aufgaben wie Inklusion, Bildungsgerechtigkeit, Digitalisierung.

So äußert sich im Vorfeld des Kongresses auch der Kultusminister von Sachsen, Stephan Dorgerloh, zu den zentralen Fragen, die für die KMK im Mittelpunkt der Veranstaltung aus deutscher Sicht stehen. Auch er sieht zwar ansatzweise räumliche Themen als besprechungsrelevant an: „Wenn in anderen Ländern beispielsweise unter Lehrern eine ausgeprägte Feedbackkultur besteht, bei uns aber die Kultur der geschlossenen Klassentür, dann müssen wir doch darüber reden, was das bewirkt und was davon auf Deutschland übertragbar ist.“**

Aber einen wichtigen Aspekt, gerade aus Sicht der Lehrer/innen, lässt Dorgerloh und mit ihm die KMK aus (weil sie sich hier nicht zuständig sieht?): Gute Lehrer/innen brauchen gute Arbeitsbedingungen. Und dazu gehören vor allem auch: Arbeitsplätze, die diesen Namen auch verdienen und die dem entsprechen, was sich heute an maßgeblichen Veränderungen im Lernen und Lehren an Schulen vollzieht.

Aber die Wirklichkeit sieht anders aus, schaut man sich in Lehrerzimmern in Deutschland um. Ja, die „Lehrerzimmer“: Sie werden immer noch von vielen für den Arbeitsort gehalten, der Lehrer/innen heute zur Verfügung steht. Aber da, wo Schule neue Akzente setzen muss, wo der Teamgeist gerade auch von Lehrer/innen gefordert wird und entstehen könnte, in Teamräumen nahe den Arbeitsplätzen der Schülerinnen und Schüler, ausgestattet mit IT-Technologie und Telefon, einem Schreibtisch und Ablage für Materialien, an denen Unterricht vorbereitet und an denen gemeinsam geplant und gedacht werden kann, wie das gehen kann mit der diversen Schülerschaft – da ist eine große Lücke in der Umsetzung. Und in der öffentlichen Diskussion, wie sie von zentralen Organen wie der KMK geführt wird.

Wenn wir den Repräsentanten der KMK, Herrn Dorgerloh, ernst nehmen, und es tatsächlich entscheidend auf die Fähigkeit des lehrenden Personals ankommt, um Schulen im Umgang mit einer in der Tat bei uns immer heterogener werdenden Schülerschaft in zunehmend auch ganztägig organisierten Bildungseinrichtungen weiter zu qualifizieren, durch Lernen von anderen, die manches vielleicht schon besser machen – dann braucht es umso mehr eine starke und lautstarke Initiative von denen, die hierzu auf den höchsten Entscheiderebenen etwas zu sagen haben.

Auch wenn Angelegenheiten des Schulbaus nicht Sache der KMK zu sein scheinen, so ist doch das, was sich in den Schulbauten von heute abspielen muss, ihr ureigenstes Terrain, nämlich sich darum zu kümmern und Benchmarks zu formulieren, was gute räumliche Arbeitsbedingungen sind. Welche räumlichen Arbeitsplätze brauchen Schüler/innen und Lehrer/innen den heutigen Anforderungen entsprechend im Schulalltag? Und wie kann gewährleistet werden, dass dies in Deutschland umgesetzt wird?

Hier sind wir tatsächlich ein Entwicklungsland, gemessen an dem immer wieder genannten Kanada, das auch Herr Dorgerloh als ein wichtiges, weil auch föderal organisiertes, OECD-Ranking-gemäßes Vorbildland anführt, mit dem die KMK zukünftig eng zusammenarbeiten möchte. Aber soweit braucht man gar nicht zu reisen. Ein Blick über den Zaun in die Niederlande oder die skandinavischen Länder reicht, um uns in Bezug auf die räumliche Arbeitsplatzgestaltung von Lehrerinnen und Lehrern zu zeigen, wie sehr Deutschland hier über den Status eines Entwicklungslandes einmal mehr nicht hinauskommt.

Es wäre dringend zu wünschen, dass sich Kongresse und Initiativen, die sich mit der Zukunft von Bildung befassen, mit den Anforderungen an bestehende und neue Generationen von Lehrer/innen, ihrer Gesundheit, Motivation und Leistungsfähigkeit – es wäre zu wünschen, dass sich solche Kongresse und die ausführenden Organe wie die KMK auch mit diesen Fragen auseinandersetzen.

* International Summit on the Teaching Profession. Berlin, 3.-4. März 2016

** Bildungsgipfel in Berlin – „Dort wird Tacheles geredet“. Interview mit Stephan Dorgerloh. Von Thomas Kerstan. Die Zeit, 28. Januar 2016.

Foto: Ringstabekk Skole (Baerum, Norwegen)
Fotografin: Kirstin Bartels, div.A arkitekter

Autor:innen

Dr Karl-Heinz Imhäuser

Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung  ist Mitglied der Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission und des Expertenkreises für inklusive Bildung.