04. April 2016; Von: Barbara Pampe

Weiterbildung Schulbauberatung: Raum und Inklusion

Das sechste und letzte Modul der Weiterbildung „Schulbauberater“ fand in Südtirol statt: eine zweitägige Schulbauexkursion zu ausgewählten Schulen, die beispielhaft sind für das Thema „Raum und Inklusion“.

Der Grund, sich auf den weiten Weg nach Südtirol zu machen, war, dass Italien vor mehr als 30 Jahren Förderschulen und Sonderklassen abgeschafft hat und alle Kinder, ob ohne oder mit Behinderung, ob mit oder ohne festgestellten Förderbedarf gemeinsam die Grund- und Mittelschule besuchen. Ein weiterer Grund war, dass Südtirol sich vor fast 10 Jahren schon auf den Weg gemacht hat, neue Schulbaurichtlinien[1] zu entwickeln, die die pädagogischen Entwicklungen und deren Konsequenz auf die räumlichen Anforderungen berücksichtigt. Diese beinhalten auch die Forderung nach einer hochwertigen Architektur, die den Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden unterstützt und fördert.

In den letzten Jahren sind in Südtirol so einige Bildungsbauten entstanden, die sich durch eine hohe Architekturqualität gepaart mit der räumlichen Umsetzung von veränderten pädagogischen Anforderungen auszeichnen, wie zuletzt auch die Ausstellung „Schulen bauen in Südtirol zwischen Architektur und Pädagogik“ zeigte.

Ziel der zweitägigen Exkursion war es, sich die Umsetzung von Inklusion konkret in den einzelnen Schulen anzuschauen und die Verbindung von Architektur und Pädagogik in der Praxis zu erleben. Vier verschiedene Schulen und ein Kindergarten wurden besichtigt. Begleitet von der jeweiligen Schulleitung und weiteren Experten, wurden jeweils die Qualitäten in der Architektur und der Pädagogik diskutiert. Die ausgewählten Beispiele reichten von Neubauten bis zum Um- und Erweiterungsbauten.

Die Schulbeispiele

Was bedeutet Inklusion für den Schulbau? Wie sieht eine inklusive Schule aus? Welche Räumlichkeiten braucht es um den Anforderungen der Inklusion gerecht zu werden? Wie sind die Räume gestaltet? Welchen Anspruch hat man an die Architektur?

Der Schuldirektor Joseph Watschinger eröffnete die Exkursion mit einem Einblick in das System der Südtiroler Schulsprengel, Verbünde von Grund- und Mittelschulen, die als Organisations- und Entwicklungseinheiten fungieren, bevor er das Thema Umsetzung von Inklusion am Beispiel der Grund- und Mittelschule am Schlossweg erläuterte.

Der Neubau der Grundschule (Architekt Klaus Hellweger, Fertigstellung 2009)[2] ist durch das Modell des „offene Lernens“ geprägt. Das Herz der Schule bildet in jedem Geschoss die Lernwerkstatt, ein frei bespielbarer zentralliegender Raum, der durch die Verwendung von Holz an den Wänden und Böden eine beliebte Arbeitsfläche für die Kinder darstellt. Der Raum bietet jedem Kind an seinen speziellen Lernort zu finden und zu gestalten: von den tiefen Fensternischen über den eigenen aus Tischen und mobilen Regalen zusammengestellten Arbeitsplatz bis hin zur Arbeitsfläche auf dem Boden.

Die notwendige energetische Sanierung der Mittelschule (Otto Irsara, Fertigstellung 2013)[3] aus den 1970er-Jahren wurde genutzt, um das Gebäude komplett neu zu denken und an die neuen pädagogischen Erkenntnisse anzupassen. Transparenz und Dialog zwischen den verschiedenen Räumlichkeiten sind das Hauptthema des Umbaus. Der Dachboden, der vorher nicht genutzt wurde, ist jetzt in verschiedene Werkstätten und Ateliers aufgeteilt, die Raum für Kreativität und handwerkliches Arbeiten anbieten. Durch die Aktivierung von zusätzlichen Flächen konnte ein vielfältiges Raumangebot geschaffen werden, das den verschiedenen Bedürfnissen der inklusiven Schule gerecht wird. Die Werkstätten unterm Dach bieten Schüler/innen die Möglichkeit, im Rahmen praktischer Tätigkeiten Lerninhalte handlungsgestützt und ausgehenden vom handwerklichen Tun aufzubauen. Die Bibliothek sowie zahlreiche Zwischenräume sind so gestaltet und ausgestattet, dass Sie für Einzel- und Teamarbeit genutzt werden können.

Beim Betreten des Kindergartens in Terenten (Feld72, Fertigstellung 2010)[4] taucht man in eine Welt ein, in der Architektur und Mobiliar, Licht und Öffnungen, Bewegungsmöglichkeiten und dreidimensionales Wahrnehmung bis ins Detail orchestriert sind. Die Kinder bewegen sie sich frei und haben die Möglichkeit, verschiedene Aktivitäten in den jeweiligen Ateliers zu besuchen. Nischen, Höhlen und Fensterbänke bieten den Kinder verschiedene Rückzugsmöglichkeiten und Raum, ihr eigenes Tempo und den passenden Ort für ihre Aktivitäten zu bestimmen.

Die Landesberufsschule für Gast- und Nahrungsmittelgewerbe „Emma Hellenstainer“ in Brixen (Josef March, Andrea Sega, Fertigstellung 2011) bietet ein inklusives Bildungsangebot für Jugendliche. Der vorhandene Bau aus der 1970er-Jahren ist in verschiedene thematische Ateliers aufgeteilt, in denen den Schüler/innen praktisch und theoretisch die unterschiedlichen Berufe vermittelt werden. Der 2011 fertiggestellte Neubau bietet zusätzliche Unterrichtsräume, von denen pro Geschoss einer als offener Unterrichtsraum gestaltet ist, um das offene Lernen auch in der Berufsschule zu fördern, auch wenn dieses räumliche Angebot scheinbar (noch) nicht ausgiebig genutzt wird.

Den Abschluss der Exkursion bildete der Besuch der Fachschule für Sozialberufe „Hannah Arendt“ (Claudio Lucchin & Partner, Fertigstellung 2012)[5]. Das historische, denkmalgeschützte Kapuzinerkloster bot zu wenig Raum für die zunehmende Schülerzahl, so dass schon in den 90er-Jahren und 2012 räumliche Erweiterungen erfolgen mussten. Die zweite räumliche Erweiterung wurde aufgrund des Denkmalschutzes des Klosters komplett unterirdisch umgesetzt. Die drei unterirdischen Stockwerke orientieren sich zu einem glasüberdeckten Innenhof hin, der Licht in die Unterrichtsräume einbringt. Neben den komplett verglasten Unterrichtsräumen werden individuelle Arbeitsplätze in den Fluren angeboten. Der Innenhof ist ausgestattet mit Sitzmöbel, die zum Chillen und Ausruhen einladen. Allerdings scheint durch die Akustik eine parallele Nutzung der Unterrichtsräume und des Innenhofes nur schwer möglich zu sein. Leider konnten wir das nicht im Alltag beobachten, da keine Schüler/innen mehr in der Schule waren.

Fazit

Es war eine spannende Exkursion mit vielfältige Einblicken in das Schulsystem und die Schularchitektur in Südtirol. Alle Teilnehmenden waren beeindruckt von der hohen architektonischen Qualität der Gebäude und auch von der selbstverständlichen Umsetzung von Integration auf dem Weg zur Inklusion. Vor diesem Hintergrund waren wir verwundert über ein spezifisches Südtiroler Phänomen: Noch immer gibt es getrennte Schulen für italienische, deutsche und ladinische Kinder. Die gemeinsame Schule für die drei Bevölkerungsgruppen ist eine Herausforderung für die Zukunft. Abgesehen davon lohnt es sich in jedem Fall, sich mit diesen und vielen weiteren Beispielen für Schulbau in Südtirol zu befassen. Sie alle bieten vielfältige Anregungen für ein gelungenes Zusammenspiel von Pädagogik und Raum, die zusammen ein auch bei uns längst überfälliges neues Lernen erst ermöglichen.

[1] Schulbaurichtlinien der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol, Ausgabe 2010

[2] Ausstellungskatalog „Schulen bauen in Südtirol zwischen Architektur und Pädagogik“, S. 38ff.

Grund- und Mittelschule Welsberg

(Architektur: Klaus Hellweger (Grundschule); Otto Irsara (Mittelschule))

Kindergarten Terenten

(Architektur: Feld72)

Landesberufsschule für Gast- und Nahrungsmittelgewerbe „Emma Hellenstainer“, Brixen

(Architektur: Josef March, Andrea Sega)

Fachschule für Sozialberufe „Hannah Arendt“, Bozen

(Architektur: Claudio Lucchin & Partner)

Fotos: Oliver Jaist

Raum und Inklusion - Neue Konzepte im Schulbau

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