27. November 2015; Von: Barbara Pampe

Weiterbildung Schulbauberatung: Schulbauberater/innen unterwegs in den Niederlanden

Vom 19.-20. November hat das dritte Modul der Weiterbildung „Schulbauberater“ stattgefunden: eine Exkursion in die Niederlande.

Gemeinsam pädagogische Konzepte im gebauten Raum erleben: Das dritte Modul der Weiterbildung „Schulbauberater“ führte uns auf eine zweitägige Exkursion in die Niederlande. Ziel war es, verschiedene Schulgebäude und verschiedene pädagogische Ansätze gemeinsam anzuschauen, zu analysieren und zu diskutieren.

Fioretti College, Lisse

Erste Station war das Fioretti College (siehe Foto oben), eine Sekundarschule in Lisse. Das 2013 fertiggestellte Gebäude wurde uns von Aldo Voos (Broekbakema Architecten) und Kees Thielen (Interner Projektleiter der Schule) vorgestellt. Die Räumlichkeiten bieten ein großes Potenzial für unterschiedliche Lehr- und Lernformen, das allerdings nur wenig ausgeschöpft wird – Frontalunterricht ist noch die prägende Unterrichtsform. Die neue Direktorin hat jedoch viele Visionen in Bezug auf die vielfältige Nutzung der vorhandenen Flächen.

St. Nicolaaslyceum, Amsterdam

Beim St. Nicolaaslyceum, einem Gymnasium in Amsterdam, beobachteten wir ein ähnliches Phänomen: Das Gebäude, von Richelle de Jong (DP6 Architecten) präsentiert, ist ein Erlebnis von räumlichen Sequenzen, die mehr zu bieten haben als nur die klassische Klassenraumnutzung. Madeleine Lodeweges (Vizedirektorin) erklärte uns das Ziel, eine Schule zu schaffen, die ein Treffpunkt ist, wo Transparenz, Offenheit, Sicherheit und gleichzeitig Herausforderungen angeboten werden.

St. Nicolaaslyceum, Amsterdam.

IJburg College, Amsterdam

Ein ganz anderes Lernkonzept wurde uns von Lou Brouwers (Direktor) vom Ijburg College (LIAG Architecten, 2011 fertiggestellt) in Amsterdam erklärt und gezeigt. Die Schule ist eine „Schule ohne Bücher“, wo die Schüler/innen mit digitalem Material arbeiten. Hier ist die Unterstufe in „Teilschulen“ mit je ca. 200 Schüler/innen strukturiert, die jahrgangsübergreifend arbeiten. Jede der sieben Teilschulen zeigt sich baulich als abgeschlossene Einheit, mit Räumen, die um eine gemeinsame Mitte organisiert sind. In der Oberstufe sind die Schüler/innen dann wieder neu gemischt, um sich spezifisch für ihre zukünftige Karrierelaufbahn vorbereiten zu können.

IJburg College, Amsterdam.

Openluchtschool, Amsterdam

Die denkmalgeschützte Openluchtschool (Arch. Jan Duiker, 1927-30) in Amsterdam ist ein historisches Gebäude. Sie wurde aufgrund ihres damaligen visionären Konzepts ausgewählt: eine Schule, bei der die Prävention von Tuberkulose baulich verwirklicht wurde, und Sonne und Luft im Gebäude entwurfsprägend waren.

Openluchtschool, Amsterdam.

Fabritiusschool, Hilversum

In Hilversum wurde uns die Geschichte und die derzeitige Nutzung der denkmalgeschützten Fabritiusschool (Arch. Willem Marinus Dudok, 1926-28) von Kees van Aggelen (Lehrer) dargestellt. In den 80er-Jahren brannten das Schuldach und Teile des Gebäudes ab – so bot sich die Möglichkeit, die Flurschule pädagogisch neu zu denken und umzubauen. Neben den Türen wurden größere Öffnungen zum Flur realisiert, sodass eine Erweiterung der Lernfläche in den Flur ermöglicht wurde.

Fabritiusschool, Hilversum.

Die Schulbesuche haben viele Diskussionen zwischen den Teilnehmenden ausgelöst, die dann auch während der Rückreise im Bus weitergeführt wurden. Gleichzeitig sind Neugier und Fragen zu den aktuellen Tendenzen in den beiden Disziplinen geweckt worden, die im nächsten Modul „Pädagogik und Raum“ mit weiteren Expertinnen und Experten diskutiert werden.

Das nächste Modul findet am 23. Januar 2016 statt.

Helga Weiß, Organisations- und Personalentwicklerin

Das Ijburg College in Amsterdam ist unter pädagogischen Gesichtspunkten eine innovative Schule. Sie definiert sich als „Lerngemeinschaft, in der Schüler/innen über sich selber und die Welt lernen“. Es handelt sich um offene Lernlandschaften, „wo zusammengelernt wird, wo es geht und getrennt gearbeitet wird, wo es nötig ist“.

Jede/r Schüler/in verfügt über ein iPad, auf dem App-basiert Aufgaben und Wissensinhalte (auch E-Books) angeboten werden. Das iPad ist dabei lediglich Hilfsmittel zur Strukturierung der Lernangebote und für den Online-Zugriff auf benötigte Informationen. Der Schwerpunkt liegt auf der „beteiligungsorientierten und selbstbestimmten Art der Zusammenarbeit“ zwischen den Lehrenden und Lernenden.

Es wird die Haltung verfolgt „Schüler/innen für die Erfordernisse der Zukunft zu qualifizieren und dergestalt fit zu machen, dass Sie sich Ihrer eigenen Werte bewusst sind und über Fähigkeiten verfügen, einer immer komplexer werdenden Welt gut gerüstet begegnen zu können“.

Zu einem „Auftrag an die Wirklichkeit“ gehört auch das Selbstverständnis, dass uns dreizehnjährige Schülerinnen in Kleingruppen ihre „Lerngemeinschaft“ zeigen und für die Beantwortung unserer Fragen zur Verfügung stehen. So werden Sie zu Lehrenden und wir zu Lernenden! Das macht Beteiligungsorientierung und ein Miteinander in Augenhöhe auf direkte Weise spürbar und erlebbar.

Maike Reese, Schulentwicklungsberaterin

Eine beeindruckende Exkursion zu modernen Schulbauten liegt hinter uns. Sie alle laden zu einer neuen Pädagogik ein, sind transparent und offen zum Stadtteil gestaltet. Die Schülerinnen und Schüler erleben Wertschätzung durch ein modernes, ästhetisches Gebäude und sind sehr identifiziert mit ihrer Schule. Beeindruckend war die Bedeutung einer zentralen Mitte für Begegnung, Kultur und Leben.

Allein dies hat positive Auswirkungen auf die Gemeinschaft und das Verhalten. Aber dürfen sie auch anders lernen? Beschäftigen sie sich mit ihren Fragen? Was sind die Bildungsziele und pädagogischen Konzepte, die die Pädagoginnen und Pädagogen hier umsetzen? Wir haben beides erlebt: alte Pädagogik in neuen Räumen und neuen Freiraum für neues Lernen und Lehren.

Kernerkenntnis: Innovation und Veränderung bleiben eine Frage der Phantasie, des Mutes und der Vision im architektonischen wie im pädagogischen Bereich. Wenn beides zusammenkommt, entstehen neue Welten.

PS: Sprinkleranlagen ändern alles und wären eine kluge Investition, die nicht von vornherein verworfen werden sollte.

Anke Weber, Architektin

Das Besondere an dieser Exkursion war zweifelsohne die Reflexion der besichtigten Projekte in zahlreichen anregenden Gesprächen untereinander zwischen den Teilnehmenden aus Pädagogik und Architektur.

Unter anderem beschäftigte uns dabei die Frage der Transparenz zwischen den Klassenräumen und den Erschließungsbereichen. Aus Sicht beider Fachdisziplinen wurde dies als sehr inspirierend und zukunftsweisend für die Einbindung der Schüler/innen in die Schulgemeinschaft eingeschätzt. Wertvoll war dazu auch die Aussage der Nutzer/innen: die Schüler/innen verwendeten hierzu spontan den Begriff der „Freiheit“ als Begründung warum ihnen diese Transparenz so gut gefällt.

Und gleichzeitig wurde im Rahmen der Exkursion deutlich, dass auch die raffinierteste Schulgestaltung (St. Nicolaaslyceum) nicht mehr als eine ungenutzte Möglichkeit ist, wenn konventionell frontal in kleinen Klassenräumen unterrichtet wird. Auch vom Gegenteil konnten wir uns ein Bild machen: ein begeisterndes pädagogisches Konzept (Ijburg College) in wenig überzeugenden Räumen.

Die Exkursion verdeutlichte insgesamt an vielen Beispielen die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Pädagogik und Architektur schon im Frühstadium aller Planungen.

Gemeinsam werden wir auch in den folgenden Modulen weiter auf der Suche sein nach der Schule, die Kindern und Jugendlichen eine Heimat sein kann und Ihnen Raum zur Entwicklung lässt – und in der sie spielerisch und angewandt die erforderlichen Kompetenzen für das 21. Jahrhunderts erwerben können.

Weitere Infos: Projekt „Schulbauberater“ auf der Homepage der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

Fotos: Eberhard Weible