03. August 2016; Von: Franziska Spelleken

Die neue deutsche Schulbauwelle: Berlin

In Berlin diskutierten Mitte Juni Bezirksschulbeirat und -elternausschuss über ein neues Schulbaukonzept. Der ehemalige Münchner Stadtschulrat Rainer Schweppe war als beratender Experte vor Ort. Ein Interview.

Bis 2024 sollen ca. 100 neue Schulen in Berlin gebaut werden, um dem rasant steigenden Bedarf an Schulplätzen nachzukommen. Acht bis neun Jahre dauern Planung und Bau einer Schule derzeit durchschnittlich im Land Berlin. Diese Verfahrenszeit soll um die Hälfte verkürzt werden. Rainer Schweppe gibt aus seiner Tätigkeit als langjähriger Stadtschulrat eine Einschätzung, wie dieses Vorhaben gelingen könnte.

Herr Schweppe, als Stadtschulrat und Leiter des Referates für Schule und Sport der Stadt München haben Sie neue Schulbaurichtlinien auf den Weg gebracht und das Münchener Lernhauskonzept entwickelt. In Berlin waren Sie als beratender Experte eingeladen. Was raten Sie Berlin vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen?

Die Berliner Elternvertretung und auch der Senat reden von 75.000 Schulplätzen, die bis zum Jahr 2024 neu geschaffen werden müssen. Das ist in der Tat ein sehr starkes Wachstum und bedeutet, dass Berlin im Grunde schon gestern hätte anfangen müssen, diese große Aufgabe anzugehen, damit es jetzt ganz schnell gehen kann. Berlin ist nicht ganz einfach strukturiert, weil auf der einen Seite die Senatsverwaltungen bestimmte Aufgaben wahrnehmen und auf der anderen Seite die Bezirke. Das bedeutet eine besondere Zuständigkeits-bewältigungs-Aufgabe. Die Berliner haben sich bereits mit dem Hamburger Lösungsansatz einer Schulbau GmbH auseinandergesetzt, aber auch mit Münchener Lösungsansätzen. Ziel muss es sein, die bestehenden Strukturen, also die klassischen Strukturen einer Großstadtverwaltung zu optimieren. Wie dieser Weg aussehen wird ist aber noch nicht klar. Ich gehe davon aus, dass der Senat, der sich in diesen Tagen damit beschäftigt hat, bald mit seinen Plänen an die Öffentlichkeit gehen wird.

Welche konkreten Schritte sollte das Land Berlin jetzt gehen?

In München haben wir auf Basis von Schulentwicklungsplänen für alle Schulformen und genausten Analysen einzelner Grundstücke erst einmal die Datengrundlage geschaffen. Angesichts des Volumens, dass wir in diesem ersten Schritt bewertet haben, haben wir die Notwendigkeit einer Optimierung unserer Strukturen erkannt. Wir sind dann innerhalb der Stadtverwaltung dazu übergegangen mehr „face to face“ zu besprechen, um Prozesse zu beschleunigen. Im Februar haben wir ein Bauprogrammbeschluss mit 1,8 Milliarden für 38 Großprojekte im Stadtrat einstimmig beschlossen. Der zweite Bauprogrammbeschluss, mit dem wir etwa ein Investitionsvolumen von 3. Milliarden Euro zu bewältigen haben, wird für das nächste Jahr vorbereitet.

Sie sprechen von optimierten Strukturen in der Verwaltung – was genau kann das heißen?

Eine Optimierung der Strukturen bedeutet zum Beispiel, nicht bei jeder neuen Schule über die Frage zu diskutieren: „Wie bauen wir diese Schule?“. Wir brauchen Raumstandards, die in München inzwischen auch schon verabschiedet wurden. Unser Fokus bei der Formulierung dieser Standards lag auf der Frage, wie man heute Schulen bauen kann, die den aktuellen pädagogischen Bedingungen genügen und von denen man sicher ist, dass sie auch in 30 Jahren noch funktionieren. Wir haben in München das Lernhauskonzept entwickelt – ein pädagogisches Raumkonzept von dem wir glauben, dass alle Beteiligten davon profitieren – Lehrer/innen, Schüler/innen und auch Eltern. Dieses Lernhauskonzept wird jetzt seit einigen Jahren gebaut und auch die Innerschulische Struktur hat sich darauf ausgerichtet. Wir können heute schon Lernerfolge aufzeigen, die auf die Einführung des Lernhauskonzeptes zurückzuführen sind. Das Konzept wirkt, weil es einerseits architektonische Komponenten hat, aber auch organisatorische. Es verändert etwas auf der Beziehungsebene Schüler/innen-Lehrer/innen und es fördert die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Ob das Konzept auch auf Berlin übertragbar ist, dass haben wir uns in der der anschließenden Diskussion gemeinsam mit den Teilnehmer/innen der Veranstaltung gefragt und haben erste Skizzen gezeichnet.

München, Köln und Hamburg haben inzwischen mit ihren Schulbauleitlinien auf die gestiegenen Anforderungen reagiert, um trotz des großen zeitlichen Drucks einen Planungsrahmen für zukunftsfähige Schulbauten vorzugeben. Wie schätzen Sie die Schwierigkeit ein, dass der Schulträger Berlin als Bundesland und nicht als Kommune handelt?

Ein ganz entscheidender Punkt bei der Beschleunigung der Baumaßnahmen ist es, nicht mehr jedes einzelne Schulbauprojekt durch die politischen Gremien beschließen zu lassen und in jeder einzelnen Phase. Also in einem ersten Schritt das Raumprogramm, dann die Bauausführung, usw. In München wird inzwischen im Stadtrat über Bauprogrammbeschlüsse entschieden, die mehrere Projekte umfassen. Es kommen also keine Einzelbeschlüsse mehr auf den Tisch, sondern es wird ein Bauprogrammbeschluss verabschiedet, nach dem die Verwaltung dann arbeiten kann. Die Verfahren können dadurch sehr drastisch verkürzt werden. Der nächste Bauprogrammbeschluss, der für Anfang 2017 in München vorgesehen ist, wird annähernd 3. Milliarden Euro umfassen und ca. 60 Objekte stark sein. Das ist also noch einmal ein großer Beschluss. In den nächsten Jahren nähern wir uns dann allmählich der Kategorie 6-9 Milliarden. Der erste Bauprogrammbeschluss setzt voraus, dass die Projekte etwa bis 2020 fertig werden, der zweite setz einen Zeitrahmen bis 2021/2022, sodass wir in den nächsten 2-3 Jahren noch weitere Baubeschlüsse benötigen.

Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) reagierte auf die Forderungen mit einem Aktionsplan „Initiative Berliner Schulbau 2026“. Laut Berichten der Berliner Morgenpost [1]  sollen Elternvertretungen in einem partizipativen Prozess mit anderen Akteur/innen wie Schulvertreter/innen und Architekt/innen in einer „temporären Facharbeitsgruppe Schulraumqualität“ über Raumgestaltungen, Standards und Qualität beraten. Die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe sollen dann in die Arbeit der vom Senat bestimmten „Task Force Schulbau“ einfließen. So sollen in elf Modellprojekten Schulum- und -Neubauten in einer verkürzten Verfahrenszeit von 4,5 Jahren umgesetzt werden. Halten Sie dieses Ziel für realistisch? Und ist das Münchener Lernhauskonzept auch auf Bestandsschulen übertragbar?

Das Lernhauskonzept kann man natürlich auch im Bestandsbau einführen. Wir haben das in München auch bei Bestandsschulen umgesetzt. Natürlich muss man dabei die bauliche Substanz berücksichtigen z.B. den Denkmalschutz. Ein Umbau wird nie so aussehen wie ein Neubau, aber es ist tatsächlich denkbar, dass auch ein Altbau entsprechend umgestaltet wird. Besonders wichtig ist dabei, dass die Umgestaltung einer Bestandsschule räumlich auch den Ganztag für alle Kinder ermöglicht, die die Schule besuchen. Auch der Inklusionsaspekt muss erfüllt sein, um auch moderne Anforderungen abzudecken.

Sie halten es also für möglich, die Dauer des Verfahrens um die Hälfte zu reduzieren?

In Berlin dauert der Bau einer Schule im Durchschnitt 8-9 Jahre. Eine Reduzierung der Verfahrenszeit um die Hälfte – das muss möglich sein. Ob die Berliner dabei so einen Standard wie das Lernhauskonzept zugrunde legen, das kann ich nicht sagen. Auch hier wird man sich fragen müssen: Welchen Standard wollen wir setzen, wie wollen wir das gestalten? Denn ohne einen Standard wird diese Herausforderung nicht zu bewältigen sein.

[1] www.morgenpost.de/Eltern-sollen-bei-Schulplanungen-mitreden-koennen.de (14.06.2016); www.berliner-woche.de/senatorin-scheeres-gibt-plaene-fuer-schulsanierung-und-schulbau-bis-2026-bekannt.de (15.06.2016)

Bild: Lernhaus Gymnasium Ottobrunn
Architekten: Bernhard Heid Architekten BDA GbR
Foto: Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

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