08. Juli 2016; Von: Franziska Spelleken

Schulbau heute

Mit ‚polis’ sprach Barbara Pampe, Projektbereichsleitung Pädagogische Architektur der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, über aktuelle Fragen zur Schulbau Debatte. Ein Interview.

Pädagogik und Architektur sind Disziplinen, die meist getrennt voneinander betrachtet werden. Im Schulbau müssen sie zusammen gedacht werden. Was verstehen Sie/die Montag Stiftungen unter dem Begriff der pädagogischen Architektur?

Im Schulbau müssen diese beiden Begriffe unabdingbar zusammen gedacht werden. Unser Ziel ist es, gute pädagogische Konzepte zu realisieren, d. h. Kinder möglichst gut auf ihrem Bildungsweg zu begleiten – und Räume zu gestalten, die diese Konzepte ermöglichen. Wir möchten Räume, die Kinder inspirieren und in denen Lernen Spaß macht. Natürlich sollen sich auch die Lehrer in den entsprechenden Räumen wohlfühlen und gerne unterrichten. Wichtig ist, dass alle Räume ihre jeweilige(n) Nutzung(en) unterstützen. Leider wurde dieser Zugang aufgrund etablierter Musterraumprogramme lange nicht verfolgt.

Welche Gründe gibt es, Schulen architektonisch neu zu denken oder bestehende Schulhäuser zu verändern – warum brauchen wir andere Schulen und welchen Herausforderungen begegnet hier der qualitativ hochwertige zukunftsfähige Schulbau?

Die Frage ist heute noch einmal eine andere als noch vor fünf Jahren. In den Ballungszentren haben wir einen enormen Bevölkerungszuwachs. Folglich steigt auch der Bedarf an neuen Schulen. Köln plant, in den kommenden 15 Jahren rund 28 neue Schulen zu bauen. Das ist in anderen deutschen Metropolen ganz ähnlich. Wir müssen Schule aber auch neu denken, weil sich unsere Gesellschaft verändert hat. Unserer heutigen Wissensgesellschaft wird in unseren bisherigen Schulen bisher kaum Rechnung getragen. Die Digitalisierung hat nicht nur das Lernen verändert, sondern auch die Anforderungen, die Jugendlichen beim Berufseinstieg begegnen. Daneben müssen wir uns Gedanken zu Ganztagskonzepten machen und auf die UN-Diagnose reagieren, dass unser Bildungssystem benachteiligend gegenüber Kindern aus bildungsfernen Familien ist. Durch die Unterzeichnung der UN-Konvention sind wir überdies verpflichtet, uns auch dem Thema Inklusion anzunehmen, das sich natürlich auch auf die architektonische Struktur von Schulgebäuden bezieht. Diese Punkte beeinflussen und verändern Schule. Es gibt neue Qualitäten und Aktivitäten, die nun auch in der Schule stattfinden. Am Beispiel Ganztagsschule wird dies besonders deutlich: Früher gingen die Schülerinnen und Schüler von 8 bis 13 Uhr in die Schule. Heute verbringen Kinder und Jugendliche „den ganzen Tag“ in der Schule. Sie essen in der Schule, haben am Nachmittag noch Unterricht, können sich aber auch zurückziehen, spielen oder sich sportlich betätigen. Diese neuen Qualitäten müssen nun auch im Schulbau berücksichtigt werden.

Die Idee zu überarbeiteten Raumtypologien ist nicht neu. Wieso zeichnet sich erst jetzt ein Umdenken ab, das auch bis in die öffentlichen Richtlinien hinein Umsetzung findet?

In den 70er Jahren basierten die Überlegungen auf Ideologien. Heute liegen uns sehr konkrete Forschungsergebnisse vor, wie z. B. aus der PISA-Studie oder aus der Lernforschung, die belegen, dass vielfältiges Lernen die Grundvoraussetzung für Lernerfolg ist. Diese Ergebnisse liefern auch Analysen aus der Hirnforschung und der Sozialpsychologie. Die ursprüngliche Ideologie ist heute also wissenschaftlich belegt und erhält hierdurch ihre Rechtfertigung.

Inwiefern können „offene Schulen“ zu zentralen Orten in Stadtteilen werden?

Bildung ist immer zentrales Anliegen von Städten. Eltern achten darauf, dass im nahen Wohnumfeld gute Schulen verfügbar sind. Diese Schulen stehen als öffentliche Räume auch solchen Aktivitäten zur Verfügung, die nicht per se mit dem Schulalltag zu tun haben. So nutzen beispielsweise Vereine Turnhallen, oder der Schulhof steht auch nach Schulschluss als öffentlicher Platz für den gesamten Stadtteil zur Verfügung. Auch o. g. Beispiel der Musikschule, die Schulräume nutzt, wird vielerorts bereits verfolgt. Als Schulträger hat die Stadt hier die Chance, schulische Räume sinnvoll und effizient zu nutzen – und sie nicht schon um die Mittagszeit abzuschließen. Darüber hinaus sollte Schule als öffentliches Gebäude auch einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und in der Stadt einen zentralen Anlaufpunkt bilden, der von allen Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden kann.

Im Planungsprozess von Schulen sprechen die Montag Stiftungen von qualifizierter Projektentwicklung als Grundvoraussetzung. Sie nennen diesen Prozess „Phase Null“. Was ist darunter zu verstehen?

Der Begriff nimmt Bezug auf die Einteilung der Leistungsphasen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Die dort vorgesehenen Leistungsphasen 1–9 schließen eine solche integrierte Planung im Vorfeld (noch) nicht ein. Die Phase Null zielt darauf, vor der eigentlichen Planung eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie ein Organisationsmodell für allgemeine Lernorte, die Fachbereiche, Ganztags-, Team- und Gemeinschaftsräume sowie die Freibereiche und wie das konkrete Flächenprogramm überhaupt aussehen können. In dieser Projektentwicklungsphase werden die wichtigsten Weichen für den Bau- und Planungsprozess gestellt und alle am Schulbau betroffenen Gruppen beteiligt, darunter Pädagogen, Architekten und die Verwaltung, d. h. Schulamt, Hochbauamt, Stadtplanung, die Schule selbst mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Eltern und Kindern. Die Beteiligung aller Nutzerinnen und Nutzer an der Phase Null hat den Vorteil, dass zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der Einflussnahme am größten ist. So werden Zusatzkosten verhindert, die entstehen, wenn Änderungen nach Abschluss des Planverfahrens beschlossen werden.

Wie lange dauert der beschriebene Phase-Null-Prozess in der Regel? Gibt es hier Unterschiede zwischen Schultypen?

Das ist ganz unterschiedlich. Aus unseren Erfahrungen dauert der Prozess zwischen sechs und neun Monaten. Die Zeitspanne ist abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen. In einem Prozess kam beispielsweise einmal die Frage des Denkmalschutzes auf. Solche Dinge können den Prozess unerwartet verlängern.

Wie erfolgt die Beauftragung der Montag Stiftungen, solche Planungsprozesse zu steuern? Gibt es von Ihrer Seite aus Ausschreibungen, auf die sich Schulen bewerben können oder werden Sie auch von Städten angesprochen?

Wir hatten kürzlich die zweite Ausschreibung in Form eines Wettbewerbs, für den sich Kommunen für die Finanzierung einer Phase Null bewerben konnten. Die Kommunen haben hierzu ein Projekt, das auch schon politisch beschlossen wurde, bei uns eingereicht, um es in Zusammenarbeit mit uns der Phase Null zu unterziehen. Diesen Wettbewerb haben wir bisher zweimal durchgeführt. Die ersten fünf Pilotprojekte sind bereits abgeschlossen. Die Gewinner des zweiten Wettbewerbs haben wir im Mai bekannt gegeben. Diese fünf neuen Projekte starten im Sommer bzw. Herbst 2016.

Was geschieht im Anschluss an die Phase Null? Begleiten Sie die Schulen auch in ihrem weiteren Entwicklungsprozess?

Ziel ist es, in der Phase Null die Weichen für die Planungs- und Bauphase zu stellen. Entscheidend ist dabei auch, dass die erarbeiteten Erkenntnisse in die weiteren Planungsphasen einfließen und darauf aufgebaut wird. Über diese Schnittstellen gilt es, rechtzeitig nachzudenken, um den Informationsfluss bestmöglich zu garantieren. Die Ergebnisse der Phase Null bilden die Grundlage für die Ausschreibung der Architektenleistung, im Idealfall für einen Architekturwettbewerb. Es empfiehlt sich, das Schulbauberatungsteam sowie die Schule in den Auswahlprozess zu integrieren. Nach Fertigstellung des Schulbaus wird uns auch die Frage des Betriebes interessieren: Wie wird die Schule die neuen Räumlichkeiten nutzen und weiterentwickeln? Braucht es Unterstützung in der Aneignung der Räume?

Sofern Sie auf Ihre bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungen blicken: Gibt es einen Prototyp der „guten Schule“ oder bestimmte Merkmale, die eine gute Schule ausmachen?

Einen Prototyp gibt es nicht. Eine gute Schule charakterisiert sich durch ihr Zusammenspiel aus guter Pädagogik und einem gelungenen Schulbau sowie dem Kontext am jeweiligen Standort. In unserer Datenbank Lernräume Aktuell zeigen wir Beispiele für gelungene pädagogische Architektur. Das ist nicht immer die ganze Schule – manchmal überzeugt an einer Schule eine bestimmte Lösung oder ein Detail. Gute Schulen sind immer offen für verschiedene Nutzungen – sie bieten der Pädagogik viele Optionen, die sie braucht, um der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden.

Das Interview führten Susanne Peick und Marie Sammet

Das vollständige Interview lesen Sie in: polis – Magazin für Urban Development, Nr. 02 (Juli 2016)
www.polis-magazin.com