16. Dezember 2015; Von: Dr Karl-Heinz Imhäuser

Transparenz: ein unbeliebtes Thema innovativer Bildungsbauten

Transparenz ist ein wichtiges Merkmal neuer, offener Raumkonzepte für Schulen. Genau damit tun sich aber viele noch schwer, denn das Arbeiten in transparenten Umgebungen ist anders als das, das wir aus den geschlossenen Modellen der Vergangenheit kennen. Ein Beispiel zeigt: Die Vorteile erschließen sich spätestens dann, wenn man in der neuen Umgebungen arbeitet – der Mut zur Transparenz lohnt sich.

Ein Besuch in einer neu gebauten Grundschule in Deutschland: Alle Klassenzimmer befinden sich im ersten Stock des Gebäudes, die Klassenräume jeweils einer Jahrgangsstufe gruppieren sich um eine gemeinsam genutzte Lerninsel. Die Klassenräume sind von der Decke bis zum Boden zur gemeinsamen Mitte hin verglast und haben auch noch großzügig verglaste Wandelemente zueinander. Aus vielen Diskussionen bei Vorträgen sowie in der Beratung von Schulbauprojekten kenne ich die kritischen bis ablehnenden Reaktionen gut, wenn es um die Frage der transparenten Verglasung von Türen und Wandelementen geht – selbst wenn es nur um kleine Öffnungen geht. Umso erstaunter war ich bei meinem Besuch, dass das in Deutschland in diesem Umfang möglich ist.

Neugierig beobachte ich eine Lernsituation, in der die Klassenverbandsstruktur aufgelöst und die Schülerinnen und Schüler dieses Jahrgangsclusters über die ganzen Räumlichkeiten verteilt in Lerngruppen aktiv sind. Ich frage eine Lehrerin, wie das Kollegium sich in der Konzeptentwicklungsphase dieses Schulbaus zu so weitreichender Transparenz hat zusammenfinden können – und bekomme die ehrliche Antwort: „Das Kollegium war eigentlich skeptisch. Aber Schulleitung und Architekt haben das letztlich gemeinsam mit der Verwaltung entschieden. Und heute ist die Mehrheit des Kollegiums froh, denn die meisten von uns wollen gar nicht mehr anders arbeiten als so, wie wir es jetzt in diesen Räumen können.“

Warum ist diese Geschichte interessant? Nicht, weil sie ein Muster aufzeigt, wie sich in solchen Entwicklungsphasen am Beginn eines Schulbauprojektes Leitungen und Architekten gegenüber Kollegien durchsetzen. Nein, sie illustriert, dass es ohne einen breiten Erfahrungshintergrund, was das Arbeiten in solchen Lernumgebungen betrifft, wie das Arbeiten in solchen Lernumgebungen gestaltet werden kann und wie es wirkt, schwierig ist, hierfür die „Türen und Fenster“ in den Köpfen zu öffnen. Deshalb ist es wichtig, wenn gute Erfahrungen aus dem Alltag auch zu neuen Lösungen anregen.

Wir brauchen sicher noch einige Jahre, bis mehr solche mutigen Schulgebäude entstehen, die man besuchen und in ihrem Alltag erleben kann, damit beim Thema Transparenz in der Breite ein Umdenken einsetzt. Aber der Anfang ist gemacht. Schulen wie die Oberschule in Osterholz-Scharmbeck, die Grundschule Landsberger Straße in Herford, das Trudering Gymnasium in München, das Heisenberg Gymnasium in Bruchsal und andere zeigen, dass ein Aufbruch begonnen und konkrete Realisierungen zu besichtigen sind – so wird auch das Thema „Transparenz“ selbst für alle Beteiligten transparenter.

Foto: Westparkschule, Augsburg (c) Seeberger.Buss Photographie, München

Autor:innen

Dr Karl-Heinz Imhäuser

Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung  ist Mitglied der Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission und des Expertenkreises für inklusive Bildung.